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Viktor Alksnis – Das war kein gewöhnlicher Mord an Rochlin

Oberst a.D. Viktor Alksnis, Abgeordneter des Obersten Sowjets der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik über die Geschichte Russlands in den 1990er Jahren mit Gorbatschow, dem Putsch von 1991, Jelzin ab 1993 und dem Mord an Rochlin
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Foto von Lew Rochlin von „Ogonjok“ / „Kommersant“

Das war kein gewöhnlicher Mord an Rochlin

Interview von Alexej Sotschnew mit Viktor Alksnis
übersetzt von MATUTINSGROUP

Lenta.ru, 03. März 2016 – 08:51 Uhr.-   In jenen Tagen gab es in Moskau auf der Buckelbrücke jene gutbekannte Aktion der Bergleute. Rochlin fand die Finanzierungsquellen und plante, nach Moskau ca. 20.000 Beamte zu bringen, die zu den Bergleuten stoßen und im Zentrum von Moskau Unruhen organisieren sollten. Sie planten, Regierungsgebäude und Einrichtungen zu besetzen sowie Jelzins Gefolgschaft zu verhaften. Einerseits war geplant, Militär nach Moskau zu bringen. Eine andere Hauptaufgabe war es, das Eintreffen von gegenüber Jelzin loyalen militärischen Einheiten in Moskau zu verhindern. Um dies zu tun, wurden die Kommandeure der Moskauer Militäreinheiten dazu aufgefordert, die Zufahrtstraßen nach Moskau zu blockieren.

Lenta.ru: Ein Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU, der 1. Sekretär der Kommunistischen Partei Lettlands, Rubiks Alfreds, erklärte auf einer Pressekonferenz am 19. August 1991, dass er das Staatliche Notstandskomitee „nicht nur mit Freude, sondern mit Stolz“ begrüßt, und dass „es der Traum unserer Kommunistischen Partei ist“. Erinnern Sie sich an diesem Tag? Was in Riga geschah?

Alksnis: Heute spricht niemand darüber. Aber Lettland war die einzige Unionsrepublik, wo das Staatliche Notstandskomitee gesiegt hatte. Die Nachricht über die am Morgen des 19. August 1991 erfolgte Einsetzung des Komitees löste bei der Führung Schock und Ehrfurcht aus. Sie prüften ernsthaft, ob jetzt das Notstandskomitee beginnen würde, die Ordnung im Land wiederherzustellen und gingen in dieser Situation nicht hart mit ihm um. Fjodor Kusmin befehligte damals die Truppen in der Baltischen Militärregion. Er erzählte mir später, wie am Morgen des 19. August er gegenüber dem ihn anrufenden Vorsitzenden des Obersten Sowjets Lettlands und ehemaligen Ideologischen Sekretärs der Kommunistischen Partei Lettlands Anatoly Gorbunow darauf bestand, dass er ein Kommunist war und ist sowie bereit ist, streng der Verfassung der UdSSR und den Weisungen des Komitees nachzukommen. Gleich nach Gorbunow begannen andere Führer der „unabhängigen“ Republik anzurufen.

Vom 19. – 21. August hatten in Riga nur ca. zweihundert OMON-Kämpfer die Kontrolle über fast alle wichtigen Objekte, einschließlich des Ministerrats Lettlands. Bemerkenswerterweise nahm in diesen Tagen niemand auf den Straßen von Riga und in den anderen Städten des Landes Notiz, um gegen das Notstandskomitee zu protestieren. Die Befürworter der Abspaltung von der UdSSR saßen zu Hause und warteten gespannt ab, wie dies für sie ausgehen würde.

Am 21. August hatte die Bereitschaftspolizei die Einnahme der letzten strategischen Einrichtung Lettlands, des Obersten Sowjets der Republik geplant. Aber aus Moskau kam die Nachricht, daß die Mitglieder des Notstandskomitees nach Foros zu Gorbatschow geflogen waren um aufzugeben. Die Bereitschaftspolizei zog sich in ihre Kaserne am Stadtrand von Riga zurück und nahm eine Verteidigungsposition ein. Was bedeutete, dass sie nicht kapitulierte. Aus Moskau kam der Befehl an die Truppen des Baltischen Militärbezirk und die Marineinfanterie der Baltischen Flotte, die Rebellen zu entwaffnen. In den militärischen Einheiten begannen Unruhen. Offiziere und Soldaten weigerten sich, ihre Kameraden zu entwaffnen, die sie als Helden betrachteten.
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Barrikaden in den Straßen von Riga
Fotos: Igor Michalew / RIA Novosti

Lenta.ru: Es wurde angenommen, dass Lettland nun eine autonome Republik innerhalb Russlands und nicht für Jelzin war.

Alksnis: Nachdem die Armee und Marine die Ausführung der Befehle verweigerten, begann die Situation zu „kippen“ und bestand die Gefahr einer militärischen Meuterei. Um dies zu verhindern, fliegt Boris Jelzin nach Riga zu einem Blitz-Besuch.

Als Ergebnis der Verhandlungen mit den Führern Lettlands wurde eine Amnestie-Vereinbarung allen OMON-Kämpfern von Riga und ihr Umzug in das Gebiet der Russischen Föderation nach Tjumen gewährt. Nach Riga wurden militärische Transportflugzeuge geschickt. Die Bereitschaftspolizisten fuhren mit ihren Familien in Bussen mit ihren Waffen und ihrer militärischen Ausrüstung durch die Stadt Riga zum Flughafen. An diesen Fahrzeugen hingen Spruchbänder: „Wir kommen zurück!“. Auf den Gehwegen waren Hunderte von Menschen, von denen viele weinten.

Trotz der erreichten Amnestie-Vereinbarungen begann die Jagd auf die OMON-Kämpfer. Auf einen 1. Strafantrag Lettlands hin (im Auftrag der Generalstaatsanwalt der RSFSR Stepankowa) wurde im Oktober 1991 der stellvertretenden OMON-Kommandeur Sergej Parfjonow von einem lettischen Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Zugleich wurden Haftbefehle und Auslieferungsersuchen zur Ergreifung weiterer lettischer und einiger anderer OMON-Kämpfer erlassen. Doch gelang ihnen, zur Kaserne der Bereitschaftspolizei in Tjumen zu flüchten und sie nach ein paar Jahren zu verlassen.

Lenta.ru: Der Chef der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR Viktor Iljuchin, der gegen Gorbatschow unter Berufung auf den Verfassungsartikel „Verrat“ im Jahr 1991 eine Anklage einreichte, schrieb in seinen Memoiren: „Gorbatschow verriet Rubiks, verriet die OMON von Riga, während die Staatsanwaltschaft in Litauen und Lettland bis zum Ende gegenüber der Sowjetunion und der Rechtsstaatlichkeit loyal blieben.“ Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Alksnis: Ja, Gorbatschow verriet die Sowjetunion. Immerhin war er der Präsident der UdSSR, der höchste Beamte des Staates. Angesichts der Realitäten jener Tage und auch gemäß der Verfassung besaß er große Machtbefugnisse. Aber er rührte keinen Finger, um seiner Verpflichtung als Präsident für den Schutz des Grundgesetzes des Staates nachzukommen. Er ging ständig seiner Verantwortung aus dem Weg und versuchte, sie anderen zuzuschieben. Sie alle verriet er, darunter auch seine Freunde und Kollegen, die in seinem engeren Kreis waren, wie der ehemalige Aussenminister der UdSSR Edward Schewardnadse, der wahrscheinlich sein engster Freund und Begleiter war.

Schewardnadse persönlich gestaltete und praktizierte eine selbstmörderische Außenpolitik der UdSSR in den späten 80er und frühen 90er Jahren. Er hielt sich an Gorbatschows Kurs. Doch als die Gruppe „Union“ und ich eineinhalb Jahre lang konsequent und systematisch auf Schewardnadse reagierten und seinen Rücktritt im Dezember 1990 erzwangen, sagte Gorbatschow nie etwas zur Unterstützung und zur Verteidigung seines Freundes. Er liess ihn genauso fallen, wie er davor und danach andere fallenließ.

Im Januar 1991 war ich Mitglied des Nationalen Rettungsausschusses in Lettland. Auf einer Sitzung dieses Gremiums mußte ich persönlich miterleben, wie dessen Vorsitzender Alfred Rubiks die Regierung über ein vertrauliches Telefon („HF-Kommunikationssystem“ für Regierung und Militär in der UdSSR, mit Hochfrequenz – Hrsg.) anrief und mit ihm unsere Handlungen abstimmte. Obwohl ich sehr gut verstand, was der Präsident der Sowjetunion repräsentierte, überraschte mich zunächst sehr und wurde ich angewidert davon, als er nach mit ihm abgestimmten konkreten Geschehnissen in Lettland öffentlich erklärte, dass er nichts davon wissen würde und gerade erst jetzt davon erfahren hätte.
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Viktor Alksnis spricht bei einer Protestkundgebung gegen die Beschlüsse des Obersten Sowjets von Lettland, 1990
Foto: Marius Baranauskas / Ria Novosti

Gorbatschow verriet die Mitglieder des Notstandkomitees, die ihn am Vorabend der Ereignisse vom 19. August 1991 wegen seiner Genehmigung der Pläne für einen Ausnahmezustand in Foros besucht hatten. Nach all dem Geschehen sagte er ihnen: „Der Teufel ist mit Ihnen, handeln Sie! Denn ich bin krank.“ Die Mitglieder des Notstandkomitees waren überzeugt, dass Gorbatschow in kritischen Situationen nicht handeln könnte, um den Ausnahmezustand durchführen, ihnen jedoch Zustimmung zur Ausrufung des Ausnahmezustands erteilt hätte. Sie flogen nach Moskau. Der Präsident hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seine Erklärung verfaßt, in welcher er das Komitee ablehnte, und zwar als Videobotschaft.

Am Morgen des 23. August nach dem Scheitern der Notstandkomitees wurde Rubiks von Kämpfern der Volksfront in seinem Arbeitszimmer in Riga im Gebäude des Zentralkomitees verhaftet und dort festgehalten. Ihn zu inhaftieren, wagten sie nicht, aus Angst vor der Reaktion Moskaus. Die „HF-Kommunikation“ im Büro funktionierte noch. Und er rief im Kreml bei Gorbatschow an. Denn immerhin war Rubiks Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU, der höchsten himmlischen Machtzentrale. Minutenlang gab es Stille an der Leitung. Aber dann sagte der Sekretär zu Rubiks, dass der Präsident nicht mit ihm sprechen wird und bat, nicht mehr anzurufen.

Lenta.ru: Kannten Sie den Innenminister und Teilnehmer am Notstandskomitee Boris Pugo? In seinen Memoiren schreibt Gennadi Iwanowitsch Janajew, Pugo habe keinen Selbstmord begangen, sondern er wurde erschossen. Was denken Sie?

Alksnis: In der Situation war es beim sogenannten Selbstmord von Boris Karlowitsch wirklich sehr verwirrend. Soweit ich wusste, war er ein guter, angenehmer Mensch, sehr weichherzig. Ich fragte mich manchmal, wie jemand wie er mit einem solchen Charakter so hohe Positionen besetzen konnte, für die ganz andere Qualitäten erforderlich vor allem hinsichtlich des Durchsetzungsvermögens vonnöten sind.

Wie es sich für mich darstellte, so konnte ich mir so einen Selbstmord und das Zulassen des Todes seiner Frau nur bei jemand mit anderen moralischen Qualitäten als Boris Karlowitsch vorstellen. Man kann davon ausgehen, dass sein tragischer Tod in der Liste der mysteriösen Tode mehrerer hochrangiger Funktionäre des ZK der KPdSU enthalten ist, die ihr Leben unmittelbar nach dem Scheitern des Notstandskomitees beendeten.

Lenta.ru: Wann waren Sie zuletzt in Lettland? Wie sehr hat sich Ihrer Meinung nach das Leben in den 1990er Jahren dort verändert?

Alksnis: Ich verließ Lettland im Oktober 1992 und war danach nicht mehr dort. Dann wurde ich aus der russischen Armee entlassen, in der ich als leitender Ingenieur-Inspektor der Abteilung für Gefechtsausbildung bei den Luftstreitkräften der Nordwestgruppe der Truppen (im früheren baltischen Militärbezirk) Dienst geleistet hatte. Vor der Entlassung wurde ich vom Stabschef der Spezialabteilung (beim militärischen Nachrichtendienst) eingeladen und informiert, dass nach dessen Informationen gegen mich ein Strafverfahren nach Artikel „Verrat“ des Strafgesetzbuchs der Lettischen SSR anstand (seinerzeit an ihrem Beginn hatte die Republik Lettland ihr eigenes Strafgesetzbuch noch nicht).
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Die Kaserne von OMON in Riga
Foto: Sergej Titow / RIA Novosti

Weil ich damals noch offiziell Militärangehöriger eines fremden Staates war, hat mich dies nicht berührt. Aber ich wurde gewarnt, dass wenn ich die Entlassungspapiere erhalte und ein ziviler Bürger geworden bin, ich verhaftet werden kann. Er empfahl mir, Lettland zu verlassen, was ich tat.

„Landesverrat“ wurde mir wegen meiner parlamentarischen und politischen Aktivität gegen den Austritt Lettlands aus der UdSSR angelastet. Wie jetzt der Stand der Strafsache ist, weiß ich nicht. Seit 1992 bin ich eine Persona non grata, weil ich meine politischen Aktivitäten fortsetze, die den lettischen Behörden zufolge der Republik Lettland schaden.

In Riga lebt meine 90 Jahre alte Mutter und Schwester. Ich bin dort schon 23 Jahre lang nicht am Grab gewesen, wo mein Vater begraben liegt.

Lenta.ru: Was erreichte Lettland seit den Jahren seiner Unabhängigkeit? Ins Auge sticht der Abwanderungsprozess zu einem ständigen Wohnsitz in reicheren Ländern. Das ist schon wie eine Massenflucht. 1992 lebten in Lettland 2,643.000 Menschen, und 2015 noch 1,973.700 Menschen. In Riga lebten 1991 mehr als 915.000 in einer Entwicklung hin zu einer Metropole mit bald einer Million Einwohner, aber 2015 waren dort nur noch 640.000 Einwohner.

Alksnis: In den letzten Jahren verließen Lettland jährlich 40.000 Menschen Richtung Westen. Amtlichen Statistiken zufolge sind mehr als 10 Prozent der lettischen Bürger in Großbritannien geboren. Inoffiziell beträgt diese Zahl das Zweifache.

Heute ist die Staatsverschuldung Lettlands so hoch, dass jeder Einwohner zur Rückzahlung mindestens 5000 Euro zahlen muß. In der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (LSSR) waren im Bereich der öffentlichen Verwaltung 8000 Menschen tätig. Im unabhängigen Lettland gibt es solche Beamten in einer Zahl von 60.000!

Der Lebensstandard dieses Landes hat immer noch nicht das Niveau der Lettischen SSR erreicht. 1990 gab es beispielsweise ca. 500 Betriebe, die ihre Produkte zumeist auch in westliche Länder exportierten. Jetzt gibt es die überwiegende Zahl dieser Betriebe nicht mehr. Und aus der industriellen Sowjetrepublik Lettland, wo High-Tech-Industrie das Rückgrat der Wirtschaft war, ist ein Land geworden, welches auf Kosten von Auslandskrediten mit einer Anhäufung von Schulden lebt. Im Jahresdurchschnitt werden eine Milliarde Dollars Schulden gemacht. Fast die gesamte Wirtschaft des Landes steht unter der Kontrolle von ausländischen Unternehmen, darunter vor allem schwedischen Konzernen.
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Foto: Alexander Poljakow / RIA Novosti

Lenta.ru: Im Jahr 1993 spielten Sie in der Konfrontation zwischen Jelzin und dem Haus der Sowjets eine aktive Rolle. Warum auf der Seite der Sowjets? Sie waren laut operativen Meldungen des Staatssicherheitsministeriums einer der Organisatoren der Massenproteste auf den Straßen von Moskau. Was prägte sich bei all dem am meisten bei Ihnen ein?

Alksnis: Als am 21. September 1993 Jelzin das berüchtigte Dekret über die Auflösung des Kongresses der Volksdeputierten (Obersten Sowjet) der RSFSR erließ, hatte ich keinen Zweifel daran, dass dies ein Putschversuch ist, dem entgegengetreten werden muss. Deshalb fuhr ich selbst am Abend des 21. September zum Gebäude der Sowjets und nahm aktiv an den nachfolgenden Ereignisse teil.

Ich war ein normaler Teilnehmer, weshalb ich nicht den ganzen Tag im Weißen Haus verbrachte, wohin ich nur kam, um auf dem Boden zu schlafen. Jedoch ging ich auch auf die Straßen von Moskau. Vor allem beschäftigte ich mich mit der Agitation und Propaganda. Ich organisierte Kundgebungen und Demonstrationen. Da auf meiner Brust das Abzeichen der Abgeordneten der UdSSR war, wurde ich von Dutzenden Menschen angesprochen. Ich sagte ihnen, was geschehen war. Und ich forderte alle auf, dem Staatsstreich entgegenzutreten. Ich agitierte die das Gebäude der Sowjets blockierenden Soldaten und Polizisten. Ich erklärte ihnen die Situation und warnte sie vor ihrer Verantwortung für die Teilnahme an einem Staatsstreich.

Die Vorgehensweise war einfach. Ich näherte mich die Kette der Sicherheitskräfte und stellte mich vor sie hin: „Ich bin Oberst Viktor Imantowitsch Alksnis, Abgeordneter des Sowjets des Volkes der UdSSR. Wer ist Ihr Senior hier? Bitte ziehen Sie ihn hinzu!“ Näherte sich ein Offizier, stellte ich mich erneut vor und bat ihn sich vorzustellen, mit Notizblock und Stift in der Hand. Denken Sie daran, dass die meisten Offiziere sich als Iwan Iwanowitsch Iwanow auszugeben hatten und ihre echten Namen nicht nannten. Dies machte einen sehr starken Eindruck auf die Soldaten, die zu verstehen begannen, dass da eine schmutzige Sache ablief.

Ich begann dann ein Gespräch mit dem Offizier im Beisein der Soldaten, und in der Regel erklang die Antwort aus der Runde: „Wir sind das Volk, das Militär. Wir wurden hierher befohlen“. Interessant zu sehen war, daß es keine Versuche seitens der Beamten gab, mich zu neutralisieren, obwohl mein Agieren auffällig war.

Nach all dem wurde ich am 29. September festgenommen. Am Abend rechnete man mich am Eingang der Metro-Station „Krasnopresnenskaya“ dem Protest zu. Ich kam an der Metrostation an. Aber dort auf dem Bahnsteig wurde geschrien und gebrüllt. Treppauf verhielt sich die Bereitschaftspolizei OMON brutal. Die Menschen drängten in die Metro. Ich hatte ein Megaphon. Ich forderte alle auf, zur Metrostation „Uliza 1905“ zu kommen und dort zum Denkmal zu gehen. Allmählich begannen die Menschen kommen. Und ich führte die Menschen zur Blockade der Straße Krasnaja Presnja.

Wir hatten die Angriffe der Bereitschaftspolizei am Weißen Haus erwartet, aber das Gegenteil schien einzutreten, denn sie begannen sofort auf die Menschen mit Schlagstöcken einzuschlagen. Ich hätte mich in der U-Bahn verstecken können, zeigte jedoch ein unnötiges Heldentum und begann mit dem Megaphon zu rufen: „Alle in die U-Bahn und abfahren!“. Und ich drängte mich selbst durch die Menge in Richtung der Polizei und rief den Uniformierten zu: „Halt! Das sind friedliche Menschen!“ Genau da erhielt ich zwei starke Schläge auf den Kopf und den Hals und brach auf dem Asphalt zusammen.

Wie später von Zeugen ausgesagt wurde, begannen OMON-Einsatzpolizeibeamte mich bewusstlos auf dem Boden liegend mit Fußtritten und Stockschlägen zu traktieren. Glücklicherweise spürte ich davon nichts mehr, denn ich hatte ja von den OMON-Einsatzkräften bereits eine „Narkose“ empfangen. Zehn Minuten später wachte ich auf. Ich lag allein in einer leeren Straße. OMON-Einsatzkräfte riegelten die Umgebung ab. Und ich hörte: „Alksnis haben sie getötet.“ Mein Kopf schmerzte und brummte, mein Körper tat mir weh. Niemand kam an mich heran. Ich ertastete, dass da ein Gesicht in einer Pfütze lag. Ich versuchte, seine Hand zu ergreifen und erkannte, dass da Blut war.
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Der Zusammenstoß der Bereitschaftspolizei und Demonstranten der Opposition auf dem Bahnhofsvorplatz von Riga
Foto: Alexej Bojzow / RIA Novosti

Schließlich trat die Kette der Bereitschaftspolizei OMON zur Seite und liefen ein paar Leute auf mich zu, führten mich aus der Einkesselungskette heraus und hielten ein Auto an. Mir fiel auf, dass trotz meines Aussehens der Fahrer hielt und half, mich auf den Rücksitz zu setzen.

Im Krankenhaus von Sklifosovsky wurde ich untersucht, geröntgt, bekam die linke Hand in Gips gepackt, und mir wurde die Aufnahme im Krankenhaus angeboten. Aber dann erschien eine Krankenschwester und sagte, dass ich nicht im Krankenhaus zur Aufnahme zugelassen bin, weil wegen mir die Polizei kam. Konkret fünf Minuten später wurde ich in einen Krankenwagen gelegt und in die Wohnung meines Freundes und Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR Anatoli Tschechojew gebracht. Ich verbrachte die Nacht bei ihm und wurde dann aus Sicherheitsgründen an einen anderen Ort verlegt. Am 2. Oktober fuhr ich mit angelegten Verbänden zum Gebäude des Außenministeriums, wo ich auf der Kundgebung aufgetreten bin. Aber ich fühlte mich schlecht. Und an den Ereignissen vom 3. und 4. Oktober nahm ich nicht mehr teil.

Lenta.ru: Gab es eine Hoffnung auf einen Sieg? Warum haben Sie verloren?

Alksnis: Hoffnung auf den Sieg gab es. Das Regime lag vor allem am 3. Oktober am Boden. Und da war niemand, um ihm aufzuhelfen. Aber keiner der Vorsitzenden des Obersten Sowjets und ernannten Minister ging aus dem Weißen Haus. Sie hatten Angst, verhaftet zu werden. Ich weiß jedoch sicher, dass wäre Ruzkoj zum Generalstab gekommen, die Armee sich sofort auf die Seite des Obersten Sowjets gestellt hätte.

Die Mitarbeiter des Ministeriums für Sicherheit der Russischen Föderation (heute FSB) verabschiedeten auf einer Hauptversammlung eine Resolution über den Übergang auf die Seite des Obersten Sowjets und warteten auf den vom Obersten Sowjet ernannten russischen Sicherheitsminister Barannikow, der aber nicht kam. Stattdessen schickte er Dutzende unbewaffnete Menschen, um „Ostankino“ zu besetzen, was nur zum Gemetzel führte.

Doch Jelzin hatte keine Angst, in der Nacht vom 3. zum 4. Oktober in den Generalstab zu kommen und sie dort zu zwingen, einen Angriff auf das Haus der Sowjets einzuleiten. Er war sich der anti-elitären Stimmungen der Armee bewußt. Aber dennoch ging er dorthin. Am Ende war sein Staatsstreich gelungen.

Lenta.ru: Mitte der neunziger Jahre arbeiteten Sie mit Lew Rochlin eng zusammen. Soweit mir bekannt ist, sind Sie ein Anhänger der Version, dass er aus politischen Motiven wegen der Vorbereitung eines Militärputsches ermordet wurde. Erzählen Sie uns davon.

Alksnis: Ja, heute ist das kein Geheimnis mehr. Tatsächlich erfreute sich Lew Jakowlewitsch großer Popularität in der Armee und bereitete er vor, durch einen Putsch Jelzin und seine Kamarilla zu stürzen. Der Plan Rochlins hatte Chancen auf Erfolg. Aber alles ruhte auf seiner Person. Soweit ich weiß, zählte Rochlin auf einige Truppenteile, einschließlich seiner Wolgograder Armee, mit welcher er in Tschetschenien gekämpft hatte. Außerdem wurde er von einigen Kommandeuren einiger bei Moskau stationierter Einheiten unterstützt.

In jenen Tage fand in Moskau auf der Buckelbrücke die gutbekannte Aktion der Bergarbeiter statt. Rochlin fand die Finanzierungsquellen heraus und beabsichtigte, ca. 20.000 Beamte nach Moskau zu transportieren, die sich den Bergarbeitern anschließen und im Zentrum von Moskau Unruhen veranstalten sollten. Es wurde geplant, im Verlauf dieser Unruhen die Regierungsgebäude und -einrichtungen zu besetzen, die Jelzin-Kamarilla zu verhaften. Außerdem wurde gemutmaßt, dass er Militäreinheiten nach Moskau verlegen wollte, deren Hauptaufgabe darin bestand, loyal zu Jelzin stehende Truppenteile nicht in die Stadt zu lassen. Dafür sollten die Kommandeure der bei Moskau gelegenen Truppenteile die Zufahrtsstrassen nach Moskau blockieren.

Die Geheimhaltung der Vorbereitung des Militärputsches scheiterte. Am Vorabend der Ermordung des Rebellengenerals sagte Jelzin: „Wir werden diesen Rochlin plattmachen.“ Und „sie machten Rochlin wirklich platt“.

Am 3. Juli 1998 wurde er in seiner Datsche ermordet. Die Mordumstände waren so geheimnisvoll, daß eindeutig zu schlußfolgern ist, daß dies kein gewöhnlicher Mord gewesen war. Hinterher wurde der Plan für einen Putsch sofort aufgegeben, denn dessen Führungsleute hatten nicht dieselbe Größe wie Rochlin.
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Viktor Alksnis
Foto: Ruslan Kriwobok / RIA Novosti

Lenta.ru: Was hätte Rochlin getan, wäre der Sturz Jelzins geglückt?

Alksnis: Ich habe von ihm gehört, dass er nicht machthungrig gewesen ist. Als Aufgabe stand lediglich, Jelzin und seine Mannschaft zu stürzen. Und das weitere Schicksal des Landes sollten die Menschen entscheiden, indem sie die Verfassungsgebende Versammlung wählen.

Aber meiner Meinung nach, wenn man diesen Fall übernommen hat, muß man sich für nichts schämen. Denn man muß bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar nicht nur für die Organisierung eines Putsches, sondern auch für das Schicksal des Landes.

Lenta.ru: Wie würden Sie die 1990er Jahre in Ihrem Leben und im Leben des Landes beschreiben?

Dies waren die Jahre der großen Wirren, die trotz der heutigen sogenannten politischen Stabilität faktisch weitergehen. Nach all dem verfolgten wir ein falsches Ziel, so, und da stehen wir und von da aus gehen wir weiter. Das Land hat keine Entwicklungsprogramme, keine Ziele.

Daher blicke ich pessimistisch in die Zukunft. Leider sind die Zeiten der großen Schocks noch nicht vorbei. Wir alle leben immer noch unter den Bedingungen eines bevorstehenden Zusammenbruchs.

Das einzig Positive an diesen verdammten 1990er Jahren ist die Tatsache, daß sie die Mehrheit unserer Bürger gegen den westlichen Liberalismus immun gemacht haben. Nicht nur für die kommenden Jahre, sondern sogar für Jahrzehnte kann uns eine Renaissance der liberalen Ideen nicht bedrohen.

Das Interview führte Alexej Sotschnew am 15. März 2016 mit Viktor Alksnis für Lenta.ru.

Quelle: https://lenta.ru/articles/2016/03/03/alksnis/

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