Überblick über die militärische Lage in Neurussland am 24. August 2015
von Coronel Cassad, Livejournal, 24. August 2015 – 20:03 Uhr
übersetzt von MATUTINSGROUP
Die Gesamtsituation
Die gesamte militärische Lage ist an den Fronten der nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk weiterhin äußerst angespannt geblieben. Die Kampfhandlungen erfolgen weiterhin im Stellungskrieg mit gelegentlichen Versuchen des Einsatzes von Aufklärungs- und Diversionsgruppen oder sich in „Schleichwegen auf neutralem Boden vorzutasten“, wie es die Streitkräfte der Ukraine ständig in der Region Donezk und die Streitkräfte Neurusslands im Gebiet von Marewka getan haben. Solange keine groß angelegten Offensive läuft, werden die Konfliktparteien versuchen, auf taktischer Ebene aktiv zu sein, immer ein paar kleinere Erfolge vor Ort zu erkämpfen, die so gut wie keine Auswirkungen auf die Gesamtsituation haben. Es sei darauf hingewiesen, dass der Anfang August erneuerte massive Artilleriebeschuss frontnaher Donbass-Städte sich in den letzten Tagen abschwächte, wobei die hauptsächlichen militärischen Handlungen nun abends und nachts von ununterbrochenen Artilleriegefechten über die Frontlinien hinweg von den Stellungen und Standorten der Artillerie-Einheiten der Kriegsparteien bestimmt werden.
Die politische Lage
Politisch sehen wir die Situation seit den Gesprächen in Minsk von Anfang August infolge der Fortsetzung der Eskalation der Kampfhandlungen als vollständig zum Erliegen gekommen an. Die Wiederaufnahme der Konsultationen in Minsk wird am 26. August erwartet, aber ein Fortschritt dadurch wird nicht erwartet, was die militärischen oder die weitergehenden politischen Punkte des Minsk-Abkommens vom 12. Februar anbelangt. Keines der Ergebnisse des Minsk-Abkommens ist bisher umgesetzt worden. Und wie Poroschenko kürzlich sagte, brauchte die Ukraine selbst das Minsk-Abkommen nur, um nach der Niederlage bei Debalzewo ihre Streitkräfte wiederherzustellen und Vorbereitungen für eine neue Phase des Krieges zu treffen. In diesem Sinn ist es naiv zu erwarten, dass die Ukraine die Vereinbarung, die offiziell nicht mehr als ein Trick und ein Weg für sie gewesen sind, um Zeit für eine Fortsetzung des Krieges zu gewinnen. Deshalb sind alle Informationen über die Verhandlungen in Minsk jetzt als diplomatische Tarnung anzusehen.
Die Situation an der Front
In der vorigen Woche gab es an der Frontlinie keine bedeutenden Veränderungen. Einige Erfolge erkämpften die Streitkräfte Neurusslands bei Marewka (auf okkupiertem neutralen Boden), und zwar ähnlich dem Erfolg der Streitkräfte der Ukraine in derselben Art „auf neutralem Boden“ in Schabunkow. Die versuchten Offensivhandlungen der Streitkräfte der Ukraine in Nowaja Laspa und Starognatowka brachtem dem Feind keine bedeutenden Erfolge. An der Front von Schirokino bis Granitnowo ist die Situation weitgehend von ziemlich schwerem Artilleriebeschuss gekennzeichnet. Im Bereich Dokutschajewsk und Jelenowka haben in den letzten Tagen die Aktivitäten des Feindes leicht nachgelassen. Die im Sektor „M“ eingesetzte Gruppierung der Streitkräfte der Ukraine bleibt ein starker Faktor im Donbass. Und dort können sie die ambitionierte Offensivtätigkeit, die ehrgeizigen Optionen mit Versuchen einleiten, um die Grenze zwischen der Volksrepublik Donezk und der Russischen Föderation zu erreichen, was zu erwarten sein wird.
An der Front von Donezk und Gorlowka gab es geographisch keine wesentlichen Änderungen. Aus vorstädtischen Gebieten werden in regelmäßigen Abständen Artillerieschläge gegen die vorgeschobenen Stellungen der Streitkräfte Neurusslands geführt. Die Gegenangriffshandlungen der Streitkräfte Neurusslands sind begrenzt erfolgreich.
Aber die Streitkräfte der Ukraine können immer noch sowohl das Ziel als auch die Intensität des Beschusses variieren. MLRS werden gelegentlich eingesetzt. Schwere Artilleriesysteme wie „Uragan“ und „Smertsch“ werden in der Reserve gehalten. Nach dem Anstieg der Aktivität in der Mitte des Monats wurden die Frontverbände der Streitkräfte Neurusslands etwas verstärkt. Auch wenn von der Front gelegentlich Beschwerden eingebracht werden, dass die Fronteinheiten ausreichend zu verstärken sind und mehr Waffen aus dem Hinterland an die Front verlegt werden müssen. Dies vor allem im Hinblick auf die militärischen Vorbereitungen der Streitkräfte der Ukraine.
Es ist erwähnenswert, dass in den letzten Tagen die Warnzeichen einer Entfernung von Minenfeldern durch die Streitkräfte der Ukraine auf potenziellen Angriffsflächen zu sehen waren. Nebst Manövrieren der Luftwaffe der Ukraine in Mariupol in Frontrichtung, fortgesetzter Anhäufung von Kampftechnik wie Panzern, Sturmgeschützen, gepanzerten Fahrzeugen, Artilleriesystemen, und so weiter mit Heranführung bis an die erste und zweite Linie an der Front. Als wirksame Maßnahmen wurden taktische Raketen und schwere Artillerie angekündigt.
Die Töne aus dem Befehlsstab der Streitkräfte der Ukraine klangen im Einklang mit den Tatsachen so, dass die Hauptkraft gegen die Volksrepublik Donezk einsatzbereit steht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Hauptbemühungen der Streitkräfte der Ukraine zur Erreichung der operativen Ziele gegen die Volksrepublik Donezk gerichtet werden. Obwohl es möglich ist, dass der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine mehrere Optionen an Angriffsplänen verfolgt.
Gegenüber der Volksrepublik Lugansk verfügt der Feind über viel weniger Offensivfähigkeiten. Und eine Zerschlagung der Streitkräfte der Volksrepublik Lugansk erwägt die Junta noch nicht einmal in ihren Planungen. Aber auch hier ist eine Streitkräftegruppierung zusammengeballt worden, um anzugreifen und Slawjanoserbsk sowie Lugansk zu bedrohen (obwohl auf eine Einnahme von Lugansk vorzustossen, unwahrscheinlich ist).
Die Kampfhandlungen an der Front der Volksrepublik Lugansk sind wesentlich ähnlich dem, was wir auf dem Gebiet der Volksrepublik Donezk beobachten, auch wenn die Intensität beim Artilleriebeschuss und der Gefechtshandlungen traditionell niedriger sind. Allerdings könnte dieser Unterschied trügerisch sein, wenn die Streitkräfte der Ukraine den Schlag auf der Front der Volksrepublik Lugansk mit den Angriffen auf das Territorium der Volksrepublik Donezk koordiniert führen. Aber dies würde einen Teil der Reserven bei Unterstützungsmaßnahmen verzögern, um eine der größten Städte der Volksrepublik Lugansk einzunehmen. Militärische Quellen sprechen von Teilstücken und dem „Front-Ende“, wonach die Junta-Offensive in den kommenden Tagen erwartet wird und intensiv vorbereitet worden ist.
Im Berichtszeitraum wurden auf dem Territorium der Republiken (in erster Linie in der Volksrepublik Donezk) mehrere Dutzend Häuser und Infrastruktur zerstört. Die militärischen Verluste der Kriegsparteien sind faktisch ein Geheimnis. Aber nach an die Presse durchgesickerten Angaben wurden auf der Seite der Junta 100-120 Personen pro Woche getötet und verwundet. Offensichtlich erlitten die Streitkräfte Neurusslands teilweise Verluste. Hier sei angemerkt, dass das Niveau der militärischen Zensur auf beiden Seiten deutlich gestiegen ist. Während der Schlacht um Debalzevo verloren sie die Kontrolle über die Informationen. Aber viel, was außerhalb der Öffentlichkeit bleiben sollte, wurde durch die sozialen Netzwerke bekannt.
Tendenzen
Eingehenden Informationen über die Vorbereitung der Streitkräfte der Ukraine auf eine groß angelegte Offensive zufolge wird ihrerseits versucht werden, die Front zu durchbrechen und koordinierte Einsätze gegen die grossen Truppenverbände der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durchzuführen. Natürlich erwartet sie die andauernde höchste Alarmbereitschaft der Armeen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk und sind zusätzliche Maßnahmen darauf gerichtet, bei gestoppten Angriffen der Streitkräfte der Ukraine mit Gegenschlägen in Gegenangriffsrichtungen durchzubrechen.
Unter Nutzung der internen Aktionslinien haben die Streitkräfte Neurusslands die Fähigkeit, ziemlich rasch Mot.-Schützen- und Artilleriereserven an Frontabschnitte heranzuführen, um im Vorfeld bedrohliche Richtungen abzudecken. Ganz offensichtlich besteht die Absicht, im Fall eines Gehens der Streitkräfte der Ukraine in die Offensive mit dem Stoppen deren Angriffs zur Gegenoffensive überzugehen, was offiziell nicht mal verheimlicht wird. Generell ist die Militärdoktrin der Volksrepubliken Donezk und Lugansk auf die Gegenoffensive ausgerichtet. Nicht zufällig ist ein bedeutender Teil der Mot.-Schützen-Reserve an der zweiten Verteidigungslinie positioniert worden, so dass für den Feind die Erkennung der Absichten des Befehlsstabs der Streitkräfte Neurusslands hinsichtlich eines Einsatzes ihrer Hauptschlagkraft schwierig ist. Dies auch dann, wenn die Einschätzung durch die feindliche Aufklärung im Moment des Vorstossens der Stachanower Einheiten nahe dem Swetlodarsker Bogen und in Richtung Artjomowsk vom Kommandostab der Streitkräfte der Ukraine erwartet werden wird.
Die Kriegsparteien werden sich weiterhin gegenseitig der Erstellung von Angriffsplänen beschuldigen und die Hauptgruppierungen offenlegen, um sich selbst als Verteidigungspartei zu präsentieren.
Momentan bewegen sich die Kriegsparteien an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Und deshalb ist für viele die kommende Woche von der Einschätzung her die weitgehend günstigste für ein militärisches Vorgehen. Im Herbst erwartet die Streitkräfte der Ukraine eine Rückgang der Truppenstärke aufgrund des Ausscheidens der ersten Mobilmachungswelle. Hinzu kommt, dass der Einsatz eines grossen Kontingents von Truppen dem Staat enorme Ressourcen abverlangt. Auf beiden Seiten sind diese Ressourcen jedoch nur sehr begrenzt vorhanden.
Schlussfolgerungen
Am 24. August haben wir Stellungskrieg mittlerer Intensität mit sporadisch Umstellung auf eine hochintensive Stufe des Stellungskriegs. Die gegenwärtige Aufstellung der Gruppierungen der Streitkräfte der Ukraine ist offensiv in allen 4 Quadranten. Und die technische und menschliche Aufklärung der Streitkräfte Neurusslands identifizierte eine Reihe von charakteristischen Merkmalen zur Einleitung von großflächigen offensiven Handlungen. Daher besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit von Kampfhandlungen in einer Übergangsphase in Gestalt von Bewegungen, bei welchen die Initiative für einen Erstschlag bei den Streitkräften der Ukraine liegen wird.
Kommt die Rede auf die Möglichkeit, die Volksrepubliken vollständig zu zerschlagen, ist darauf hinzuweisen, dass derartige militärische Fähigkeiten bei den Streitkräften der Ukraine nicht mehr vorhanden sind. Im gegenwärtigen Kräfteverhältnis ist für die Streitkräfte der Ukraine maximal eine Offensive bis zu einer Tiefe von 15 bis 25 Kilometern mit der Einnahme von mehreren Ortschaften möglich. Danach nimmt ihr Kampf den Charakter der Abwehr von Gegenangriffen an, in denen die Streitkräfte der Ukraine die Reservetruppen der Streitkräfte Neurusslands auf unbefestigte Stellungen zurückschlagen.
Offensichtlich können solche abenteuerlichen Aktivitäten wie im Sommer 2014 von den Streitkräften der Ukraine nicht zu erwarten sein. Aber sollten sie tiefe Einbrüche versuchen, gibt es immer noch extrem hohen Risiken bei offenen Flanken, von denen aus Gegenangriffe geführt werden können, welche die Unantastbarkeit der Front der Streitkräfte der Ukraine im Donbass gefährden könnten. Das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeit, den Kampf zu gewinnen und im Kampf gegen eine Gegenangriffe führende Reservearmee Neurusslands durchzuhalten, hält die Streitkräfte der Ukraine vom absolut rücksichtslosen Abenteuer ab. Aber auf der strategischen Ebene ist die Junta am Krieg interessiert, da er sowohl das Ziel der Vereinigten Staaten widerspiegelt als auch ermöglicht, die öffentliche Aufmerksamkeit von der schwierigen Situation in der Wirtschaft abzulenken.
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