Interview mit Pawel Gubarew über die Perspektiven Neurusslands
„Unser Kreuz ist die Rückführung der Ukraine in den russischen Raum“
von Gennadij Dubowoj
übersetzt von MATUTINSGROUP
„Svobodnaja Pressa“ (SP), 27. Juli 2015 – 13:58 Uhr.- Ist das Novorossia-Projekt geschlossen? Experten, Politikwissenschaftler, Beamte wetteifern darin, die Beweisstücke für dessen angebliche Verdammung zu finden. Darüber, warum es nicht umgesetzt und real wurde, fehlt es derzeit nicht an Partisanen-Experten. Über die Gründe seiner Schliessung werden wir das nächste Mal reden. Jetzt sprach der Korrespondent von „SP“ mit Pawel Gubarew, der der „Katalysatormann“ für den „Russischen Frühling“ im Südosten der Ukraine und die Personifizierung der Idee von Novorussia ist, über die Probleme und Perspektiven der „Sonderregionen Donezk und Lugansk mit Sonderstatus“.
„SP“: Laut Umfrage der Agentur Donezk über die sozialpolitische Ausgestaltung von „Klein-Neurussland“ meinen beinahe zwei Drittel (65%) der Einwohner der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, dass die russische Führung unter keinen Umständen die Rückkehr der Republiken in die Ukraine zulassen wird. Aber die Mehrheit der Teilnehmer an dieser Umfrage (87%) meint, dass eine verbleibende „Perspektive“ als ein Transnistrien Nummer 2 alle gebrachten Opfer auf unbestimmte Zeit sinnlos macht, weil jede Entwicklung ausgeschlossen bleibt. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Pawel: Es gibt eine objektive Realität dessen, was sich gerade ereignet. Und es gibt darüber die subjektiven Bewertungen.
Ich werde mit den subjektiven Bewertungen beginnen. Sie sind lebendiger für mich. Das Ergebnis des immer noch unbeendeten Vernichtungskriegs ist der Tod Tausender auf den Schlachtfeldern gefallener gesunder Menschen. Mein Buch „Die Fackel Novorussia“ habe ich allen Gefallenen in diesem Krieg gewidmet. Allein jene, die mir persönlich bekannt sind, machen mehr als 400 Menschen aus. Das ist ein gigantischer Preis!
Wissen Sie, da kommen die Tränen, wenn man sich vorstellt, wie tapfer diese Leute in diesem Krieg ihr Leben eingesetzt haben. Sie sind das beste Volk gewesen!
Fjodor Muschtranow (ein berühmter Boxer und Meister seiner Sportart – „SP“) stand mir von den ersten Tagen der Ereignisse in Donezk nahe. Er war bei den Erstürmungen der Verwaltungsgebäude dabei. Sein Gewehr hat er sich selbst erbeutet.
Oder der Kommunist und Antifaschist Vsevolod „Sewa“ Petrovsky, der als tiefgreifendster komplexer Politikwissenschaftler und Historiker die Idee der russischen Welt, die Grundsätze der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit verstand. Er kämpfte für sie und beim Bergen eines verwundeten Soldaten kam er unter Artilleriebeschuss und wurde getötet.
Man muss mir darüber nichts erzählen. Ich sah, wie die Soldaten tapfer und heldenhaft für die russische Welt gekämpft haben. Wie die Kinder zerfetzt worden sind, die Frauen und die Alten im Feuer der Artilleriegeschosse verbrannten.
Darum verstehe ich subjektiv wirklich nicht, wofür sie starben. Für eine Art „Ukraine“-Bantustan namens „gewisse Sonderregionen Donezk und Lugansk mit Sonderstatus“? Nein, natürlich nicht. Und hier kommt eine objektive Einschätzung der Lage zu Hilfe.
Die Demontage der ukrainischen Oberhoheit über Teile des Donbass ist eine sich ereignende Tatsache. Das ein Teil des Territoriums der Regionen Donezk und Lugansk von einem neuen Regime kontrolliert werden, ist eine weitere Tatsache.
Zu sagen, dass dies es ist, wovon wir geträumt hatten, können wir tun. Aber zu sagen, dass sich nichts geändert hat, ist auch nicht möglich.
Es wurde eine Startbasis geschaffen. Und wie sie genutzt wird, hängt nicht nur von der Führung der Russischen Föderation / Volksrepubliken Donezk und Lugansk ab, sondern auch von den Einwohnern der Republiken und allen, die von den Nazis in der Ukraine gefangengehalten werden und mit uns in Solidarität verbunden sind.
„SP“: Novorussia war als ein Projekt geplant, welches in Russland wie in einem Labor der sozialökonomischen Kreativität neue Formen der Verwaltung und des Zusammenlebens hervorbringt. Offenkundigerweise benötigt es nicht das Regime der mächtigen Russischen Föderation. Aber das Volk der Volksrepubliken Donezk und Lugansk kann nicht begreifen, was dieses Projekt verhindert:
a) Die Führung der Republiken, die Entwicklungsprojekte und eine rechtmäßigere Gesellschaftsordnung vor den Augen derjenigen schaffen müsste, die noch in der einheitlichen Ukraine sind;
b) Muss ein wirksamer Kontrollmechanismus errichtet werden, der von den russischen Regierungsstellen und Konzernen zu ihrem Nutzen genutzt werden kann?
Pawel: In der politischen Sphäre und in der Struktur der Wirtschaft kopierte man in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk das russische Modell. In Russland herrscht die bürgerliche Demokratie in der Form eines Konsens des Grosskapitals mit einem starken Führer. Der Führer lässt keine Beissereien zu, sondern er überwacht die Teilnahme der Interessengruppen am demokratischen Prozess. Hier ist dasselbe Modell. Und der Volkssowjet der Volksrepublik Donezk hat keinen Minister eingesetzt und entlassen. Er kann nur ein solches Gesetz nach einem Dekret der Regierung oder des Regierungschefs beschliessen. Dasselbe gilt für alle Regierungsprojekte und Kontrollmechanismen.
Ich bewerte die Arbeit der derzeitigen Exekutive als unbefriedigend. Nach meiner Zählung gibt es in der heutigen Volksrepublik Donezk über 7000 Beamte. Bei all dem ist die Qualität der Dienstleistungen der Verwaltung und der Verwaltungsabläufe niedrig.
Die Intrigen, die internen Machtkämpfe, die Korruption sind vorhanden. Wenn wir dies auf die Tatsache beziehen, dass 2,5 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe, Sozialhilfe und Pfennigen auf Subsistenzniveau abhängig sind, dann sind dort auch die Unternehmer, die solche Bedingungen geschaffen haben! Sie legten die Produktion still und reisten ab.
Ist vorstellbar, was für eine Art von Gesellschaft das ist? Alles, was passiert, ist nicht mit dem Ziel verbunden, etwas wirksames zu schaffen.
Jetzt sind diejenigen „gegen die Oligarchen“, die nur selbst Oligarchen werden wollen. Alles ist auf eine teilweise Umverteilung von Eigentum reduziert worden. Aber das Eigentum ist kein Grosseigentum von der Gewinnerzeugung her, sondern das ist kleines und mittleres Privateigentum. Gut „ausgelaugt“ (wie wir sagen), ein paar Bürogebäude und die Luxusvillen zum Wohnen … aber was ist das? Ist dies die Veränderung in der Gesellschaftsordnung?
Wir sind in einer Zeit und in einem Raum, wo das Aussprechen der Wahrheit unmöglich, gefährlich ist, sondern man die Unwahrheit ausspricht, und zwar so ekelhaft, dass es krank macht. Daher bin ich lieber ruhig und schweige und mache, was ich für nötig halte. Ich schaffe nämlich die politische Kraft auf der Grundlage der Ideologie.
Die Büros der an der Macht befindlichen Partei „Donezker Republik“ waren einst die Büros der „Regionalen“. Ein wesentliches Moment! Ein Aktiver jener Partei, der normalerweise beim Donezker Exbürgermeister Lukjantschenko und dem einstigen Stadtratssekretär Bogatschew arbeitete, schreibt in den sozialen Netzwerken: „Sieht so aus, als ob nichts geschehen wäre. Die Donezker Republik Partei der Regionen, dieselben Leute, dieselben Büros.“
Er vermeldet dies begeistert und als positiv! Wir treffen uns. Und er erklärt, dass sie eine starke „Donezker Republik“ aufbauen. Ich sage ihm, dass dies eine bürgerliche Partei des Klienteltyps ist, gegründet auf die Interessen der oligarchischen und kriminellen Gruppen.
Seine Antwort: Ja, ich verstehe das. Aber was findet sonst statt?“ – Mir stehen die Haare zu Berge. Für ihn gab es keinen Krieg, keine schrecklichen Opfer, keine Bestrebungen von Millionen Menschen nach einem anderen Leben. Sie bauen da wie bei Janukowitsch ein Konstrukt der Partei des regionalen Konsensus für die alte und zugleich neue „Elite“ auf … kann aber diese Kraft auf ideologischem Gebiet mit den „aufmunitionierten“ nazistischen und politischen Kräften der „Euro-Integration“ den Kampf führen?
Diese Frage ist rhetorisch. Aber die Vorläuferin ist bereits vorhanden, und zwar die Partei der Regionen und Janukowitsch. Als er floh, brach die Partei binnen weniger als einem Tag zusammen. Die Bewegung „Donezker Republik“ wiederholt leider die Fehler der Partei der Regionen.
In der letzten Sitzung des Isborski Clubs in Donezk erinnerte Alexander Prochanow mit seinen illustren Rückgriffen an die Revolution der Gerechtigkeit, welche in Neurussland beginnen sollte, um die Sozialstruktur in Russland selbst zu verändern, das auf göttlichen Sinnen gegründete Imperium wiederaufbauen und seine Entwicklung gewährleisten sollte. Er sagte, dass Gubarew und dessen Anhänger diese Idee durch die Zeit hindurch bis zu dem Moment getragen haben, wo sie erforderlich werden wird.
Jetzt gibt es in Russland eine bürgerliche Demokratie, die beherrscht ist von den Clans, den finanziellen-industriellen Gruppen mit ihren widersprüchlichen Interessen, die aber alle unter den Sanktionen derzeit leiden. Die rohstoff-verkaufende oder Beute-„Elite“ gemäß der Terminologie von Sereja Glasjew, welche im Westen leben wird und die Abtransporte ihrer „Beute“ aus Russland erledigt.
Die Entscheidung Putins zur Krim versetzte diese „Elite“ in einen Schockzustand. Die Sanktonen haben jede Kapitalgruppe getroffen, die den Ausverkauf der Rohstoffe betreibt, sie gegen Jachten, Villen, Garantien für politisches Asyl eintauscht. Sie sind Teil der Umverteilung des Reichtums, der Rohstoffe der Welt. Und sie sind die Lieferanten der Rohstoffe für die grossen westlichen Konzerne. Sie haben fallende Einkommen, ihr Budget wird dem zusammenbrechenden Rubel angeglichen. Und hier ist ganz klar Putins Entscheidung bezüglich dem Donbass, und zwar ihn zu stoppen.
Die „Elitären“ verstehen bestens, dass jegliche Gesellschaftserneuerung hier in Neurussland unumkehrbar werden würde, was zu einer Revision der Ergebnisse der Privatisierungsprozess in der dortigen Russischen Föderation führen dürfte. Daher werden alle Versuche einer realen Veränderung blockiert.
Daher sitzt Gubarew vor Ihnen und denkt über höhere Materie nach. Wen man an die Front schickte. Und wen man, beispielsweise Mosgowoj, in den Himmel schickte.
„SP“: Russische Politikwissenschaftler und Beamte betonen, dass die Russische Föderation erst dann den Begriff „Novorussia“ aufgab und in der Öffentlichkeit „Minsk-2“ betonte, als alle Teilnehmer anerkannten, dass die Volksrepubliken Donezk und Lugansk Teil der Ukraine sind und jetzt nur über die Erweiterung ihrer Autonomie gesprochen werden kann … Was sind Ihrer Meinung nach die „Perspektiven“, wenn wir sie in die Ukraine zurück stoßen?
Pawel: Das hängt von vielen Faktoren ab. Im Fall einer Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk werden wir die Bewegung hin zu einer Rückintegration in die Ukraine beginnen. Wenn alles verziehen werden wird, dann wird die Öffentlichkeit „abkühlen“ mit der Zeit, der Konflikt wird wieder ein ziviler Konflikt werden. Das war er stets, aber er wird gewaltsamer werden.
Die uns bevorstehende Hauptsache wird die Führung des ungleichen Kampfes gegen den ukrainischen Faschismus sein. Das ist unser Kreuz, die Rückführung der Ukraine in den russischen Raum, sie von innen zu säubern und umzugestalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unter den sich dabei bildenden Bedingungen Viele das Schicksal von Olesja Busina erwartet.
In der Ukraine agiert aktiv ein äusserst mächtiges westliches System. In erster Linie sind die US-amerikanischen und unablässig finanzierten Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) tätig. Sie verstärken derzeit ihre Arbeit im Donbass, gewähren Journalisten Zuwendungen, fördern aufklärerische Projekte mit anti-russischen Büchern und alle möglichen Aktionen.
Bildungswerke wie die ukrainische „Renaissance“, die Adenauer-Stiftung und andere geben viel Geld aus. Auch auf unserem Territorium. Sie dringen ein, unterwandern die Verwaltung. (Die von mir im Volkssowjet gegründete Fraktion „Freier Donbass“ wird jetzt nicht mehr von jenen Leuten geführt, mit denen wir den „Russischen Frühling“ einleiteten, sondern von den Aktivisten des Euromaidans!)
Erinnern Sie sich an die Begebenheit, als die Einwohner des ständig beschossenen Donezker Wohnviertels Oktjabrski rebellierten? Diese Leute gingen sechs Monate lang auf der Suche nach Hilfe zur Regierung, aber alle Regierungsstellen wiesen sie ab. Am Ende sahen sie sich gezwungen, zum Regierungsgebäude zu kommen. Derart ogranisierten da US-amerikanische NGO’s einen Massenprotest gegen den Krieg. Doch unser Staatssicherheitsministerium erfuhr davon erst, nachdem diese Tatsache eingetreten war.
Der Gegner ist heutzutage bereit, jeglichen Protest innerhalb der Republik gegen uns zu führen und zu leiten. Entgegensetzen können wir ihm nur die Reinkarnation der Partei der Regionen in der Volksrepublik Donezk in Gestalt der Partei „Donezker Republik“,
Vor allem langwierig, breitgefächert, multi-dimensional, belastet mit vielen Punkten der Zweizackigkeiten des Prozesses der inneren Transformation des Ukraine genannten Systems steht uns bevor. Derweil wir in einer Form der Pseudo-Autonomie leben, einer Art assoziierter Teilstaat. Die von der Junta verhängte Wirtschaftsblockade trennt uns objektiv von der Ukraine ab und bindet uns an Russland.
Ein Geschäftsmann erzählte mir kürzlich, dass als das duale Währungssystem eingeführt wurde, die Umlaufmenge der Grywna bei 90% und des Rubels bei 10% lag. Aber heute sind dies 85% Rubel und nur noch 15% Grywna.
Die Befreiung von der finanziellen Abhängigkeit zerreißt auch die übrigen Beziehungen. Es gibt bereits keine ukrainischen Waren mehr. Und das ist erst der Beginn der Umgestaltung.
Die „gewissen Sondergebiete der Regionen Donezk und Lugansk mit einem Sonderstatus“ ist der Schmerzpunkt, mit dessen Drücken Moskau die Ukraine „kaltstellen“ könnte, sofern sich die Ukraine nicht in die richtige Richtung zu verändern beginnt. Und wenn die russische Führung gezwungen wird, zur Schmerztherapie zu greifen, dann werden wir auf dem Höhepunkt unserer Krankheit nach Neurussland streben.
Diese Therapie wird langwierig, aber da muss man hindurch. Welche politische und administrative Säuberung die Ukraine nicht bekäme, am Ende wird sie ein organischer Teil eines gemeinsamen wirtschaftlichen und kulturellen Raums der russischen Zivilisation werden.
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