Igor Strelkow im Interview bei Irina Bogaditsa vom russischen „Krimskij Telegraf“:
„Klagen sie mich einmal an, bedeutet dies, dass ich alles richtig mache“
übersetzt von MATUTINSGROUP
„Krimskij Telegraf“ Nr. 339 vom 31. Juli 2015, online veröffentlicht am 04. August 2015.- Ob das Zurückkehren der Krim in die Heimat leicht gewesen ist, welche Fehler sich die derzeitigen Regierungen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk erlauben, sowie einiges aus dem privaten Leben dieses geheimnisvollen russischen Militärangehörigen erfuhr die Wochenzeitung „Krimskij Telegraf“ im Exklusiv-Interview von Igor Iwanowitsch Strelkow.
„Jeder muss für sich selbst entscheiden“
Frage: „Sie treten oft mit kritischen Kommentaren an die Adresse der Regierungschefs der Volksrepubliken Donezk und Lugansk auf. Welche Fehler liessen die jetzigen Regierungschefs dieser Republiken zu?
Igor Iwanowitsch: Viele Ansichten und noch mehr Handlungen von Ihnen lehne ich ab. In erster Linie lehne ich grundsätzlich ab, dass die Führungspersonen der Volksrepublik Donezk in Verhandlungen mit der Junta in Kiew im Rahmen des sogenannten Minsker Formates gegangen sind.
Erstens meine ich, dass das sinnlos ist. Zweitens ist das einfach ein Verrat am Volk des Donbass.
Zu Regierungschefs der Volksrepubliken vom Volk gewählte Personen sind einverstanden zu verhandeln und unterschreiben Dokumente, die diese Republiken verbindlich zu separaten Regionen der Ukraine machen. Meiner Meinung nach ist dies vom Gesichtspunkt der Ehre und der Würde her nicht akzeptabel.
Frage: Sie hören oft Kritik in Ihre Richtung. Haben Sie die Anschuldigungen nicht satt?
Igor Iwanowitsch: Klagen sie mich einmal an, bedeutet dies, dass ich alles richtig mache.
Frage: Bereuen Sie irgendwelche Entscheidungen von Ihnen aus Ihrer Zeit im Donbass?
Igow Iwanowitsch: Ich entschuldige mich für einige unnütze Dinge, die ich nicht zurücknahm. Es sind Fehler gemacht worden.
Frage: Gäbe es die Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen,- würden Sie dann einige Entscheidungen anders getroffen haben? Und überhaupt, wenn Sie in den Donbass rückkehren würden und wüssten, was dort alles geschehen würde?
Igor Iwanowitsch: Die Geschichte kennt keinen Konjunktiv. Was erledigt ist, das ist erledigt.
Natürlich denke ich viel darüber nach. Oft denke ich darüber nach und spiele die Situationen in meinem Kopf noch einmal durch. Vielleicht Dutzende, vielleicht Hunderte Male.
Aber, wissen Sie,- ich habe getan, was seinerzeit getan werden musste, was ich für nötig gehalten habe. Und ich kann nicht sagen, dass ich irgendwas falsch gemacht habe.
Jawohl, ich habe Fehler gemacht. Doch sind diese Fehler nicht verknüpft mit irgendeiner Bösartigkeit oder einer Furcht. Ich denke nicht, dass ich zuviele Fehler gemacht habe. Aber hätten viele Leute getan, was sie erwartungsgemäß hätten tun müssen, wäre alles ganz anders gelaufen.
Frage: Planen Sie, Ihre Bewegung „Neurussland“ auf der Krim zu entwickeln? Wenn jemand den Volksrepubliken Donezk und Lugansk mittels Ihrer Organisation helfen möchte,- was soll er machen?
Igor Iwanowitsch: Vielleicht ein wenig berechnend sage ich, dass wir uns entwickeln werden, wenn es unterstützende schwergewichtige Sponsoren gibt. Jetzt haben wir weder administrative noch finanzielle Mittel für die weitere Entwicklung.
Sowohl die Lebensmittel als auch die Medikamente, die nicht selten von grossen Partnern in Moskau und St. Petersburg bereitgestellt werden, müssen irgendwie transportiert werden, was finanzielle Mittel erfordert. Wir sammeln Geldspenden über unsere Konten, die wir auf der Internetseite novorossia.pro veröffentlichen.
Es gibt eine Gruppe unserer Bewegung auf der Krim. Unser Krim-Vertreter ist Wadim Ilowajski. Sein Kontakt ist ebenfalls auf der Internetseite zu finden.
Frage: Was würden Sie den im Donbass lebenden Menschen empfehlen? Sollen sie den Donbass verlassen? Oder sollen sie in der Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation dort bleiben?
Igor Iwanowitsch: Ich habe nicht das Recht, jemandem dort irgendeinen Ratschlag zu erteilen. Denn ich befinde mich auf dem Territorium Russlands. Jeder muss selbst seine Entscheidung treffen.
„Ich kenne die Wahrheit, aber ich darf keine Antwort geben“
Frage: Welche Auswege aus der Krise in der Ukraine sehen Sie?
Igor Iwanowitsch: Meine Meinung dazu hat sich seit über einem Jahr nicht geändert. Da die von der USA geführte Junta in Kiew absolut feindselig Russland gegenübersteht, wird eine friedliche Lösung des Konflikts im Donbass nicht möglich sein.
Es gibt nur zwei Optionen. Entweder den militärischen Sieg der Junta. Oder den Sieg über die Junta.
Frage: Welche inneren Beweggründe trieben Sie dazu, in den Krieg zu ziehen?
Igor Iwanowitsch: Ich habe mein ganzes Leben lang gekämpft. Zuerst zog ich 1992 in den Krieg nach Transnistrien. Seitdem habe ich damit fast gar nicht mehr aufgehört. Natürlich ereignet sich kein endloser Krieg. Aber das ist jetzt mein 5. Krieg.
Ich denke nicht, dass die Ereignisse auf der Krim ein Krieg gewesen sind. Obwohl ich auch hier an einigen Handlungen teilnehmen musste.
Frage: Bezüglich der Krim. Sie waren hier während des Krim-Frühlings. Welche Eindrücke bewahrten Sie sich von diesem Ereignis?
Igor Iwanowitsch: Ich stand um 6 Uhr früh auf und ging in den ersten Nachtstunden zur Ruhe, nachdem mir gelungen war, zu Sergej Waleriwitsch (Axjonow – Red.) durchzukommen.
Als jemand, der skeptisch ist und immer mit einer Falle rechnet, hatte ich nie so ein Gefühl der Euphorie, wie vor allem die Einwohner der Krim es hatten. Denn ich musste die gesamte Zeit über arbeiten.
Ich sah die Bedrohungen. Aber auch das, was für viele zauberhaft einfach war, wie es auch im „künstlerischen“ Film „Die Krim“ dargestellt worden ist: „Krim – der Weg nach Hause“. Das ist dieses Märchen.
Es gab eine Menge Entwicklungen, die ein ernstes Problem hätten werden können. Doch wurde das überwunden. Ich nahm teil an der Überwindung versteckter Hindernisse. Obwohl meine Rolle rein technisch und generell unbedeutend war.
Es war sehr angenehm zu spüren, dass wir begannen, gegen jene durchzubrechen. Das heißt, dass das Russland, welches ab 1991 überall zurückwich, begonnen hat sich zurückzunehmen, was ihm zusteht, wiedervereinigt zu werden.
Dies war ein unvergessliches Gefühl. Freilich, verhielt ich mich anfänglich misstrauisch zum Geschehen. Aber allmählich wuchs mein Vertrauen.
Und der nächste Schritt, Slawjansk, war die Fortsetzung jenes Gefühls, dass nicht ein Haufen von Oligarchen dahintersteckt, sondern das Riesenland mit seinem starken Führer, welcher für sich die Entscheidung getroffen hat, die Souveränität herzustellen.
Frage: Und werden Sie weiterhin an Kriegen teilnehmen?
Igor Iwanowitsch: Von der Gesundheit her fällt es mir schon schwer, mit der Maschinenpistole herumzulaufen. Aber sollte es nötig sein, werde ich das tun. Ich bin nicht im Ruhestand, sondern Reserveoffizier des FSB. Und wenn wir die Heimat schützen müssen, werde ich natürlich dabei sein.
Frage: Sie werden nicht nur als Militärangehöriger gesehen, sondern auch als Schriftsteller, Publizist. Werden Sie demnächst etwas schreiben, beispielsweise Ihre Memoiren über den Donbasskrieg?
Igor Iwanowitsch: Um Schreiben zu können, braucht man seine Konzentration. Ich verstehe es nicht, verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun. Dies heisst, dass wenn ich im Kampf bin, dann kämpfe ich ausschliesslich. Und wenn ich schreibe, dann mache ich nichts weiter als zu schreiben.
Leider habe ich derzeit kein Konzentrationsvermögen und offen gesagt auch keinerlei Antrieb, um zu schreiben. Ich starte morgens mit den erhaltenen Informationen aus Neurussland. Und weil ich sie mir nicht aus dem Fernseher hole, versetzen sie mich gewöhnlich für den ganzen Tag in eine traurige Stimmung.
Im Fernsehen wird nur von 10% der dort stattfindenden Angriffe, Opfer und Zerstörung berichtet. Und ich erfahre die Nachrichten beinahe unverzüglich. Daher ist es schwer, Geschichten zu schreiben, wenn meine Seele dort ist, wo meine Genossen stehen.
Und Memoiren müssen lebendig bleiben. Und bei all dem bin ich ein Geheimdienstoffizier. Auch wenn ich ein ehemaliger Geheimdienstoffizier bin, gibt es immer noch viel, was ich nicht ausplaudern darf.
Oft werde ich von den Fragen sehr verletzt. Denn ich kenne die Wahrheit, aber ich darf nicht antworten, weil dies den Interessen des Staates schaden würde. Darum stellen mich Menschen zuweilen als Dummen in das Licht wie einen Narren. Aber dessen ungeachtet steckt da die militärische Geheimhaltung dahinter.
Frage: Stimmt es, dass Ihre Frau Bürgerin von Donezk ist? Wie haben Sie sie getroffen?
Igor Iwanowitsch: Meine Frau stammt aus der Region Donezk, aus der Stadt Dserschinsk. Ich traf sie in Donezk, wo sie bei der staatlichen Regionalverwaltung arbeitete, und zwar im Kollektiv von Borodaj. (Dem früheren Vorsitzenden des Ministerrats der Volksrepublik Donezk – Red.)
Frage: Fällt Ihnen leicht, Freunde zu gewinnen? Und haben Sie Freunde, mit denen sie die innigsten Dinge austauschen?
Igor Iwanowitsch: Leider hatte ich in der letzten Zeit keine Zeit für meine engsten Freunde, selbst die von der Schule, der Hochschule und danach. Mein Leben verläuft so, dass es ständig meine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert, was den privaten Teil meines Lebens sehr beeinträchtigt.
Wer sich gesellschaftlich aktiv engagiert, bekommt nicht so etwas wie ein Produkt, welches ein Bauer oder ein Schlosser erzeugt. Aber es geht sehr viel Zeit drauf. Daher gibt es nur sehr wenige Freunde, mit denen ich meine innigsten Gedanken austausche.
Frage: Und fanden Sie Freunde im Krieg?
Igor Iwanowitsch: Ich hatte in allen Kriegen Freunde. Sowohl im Donbass wie in Transnistrien, in Tschetschenien und in Jugoslawien. Aber in Donezk war das schwierig. Denn in der Volksrepublik Donezk war ich der Oberkommandierende und konnte mir in erster Linie Freunde gar nicht leisten.
Freundschaft ist Freundschaft – Dienst ist Dienst! Aber dennoch halte ich mit meinen langjährigen Freunden Kontakt.
Frage: Was ist Ihr Traum?
Igor Iwanowitsch: Jetzt träume ich davon, dass wir in der Ukraine siegen. Denn der Sieg von Donezk und Lugansk ist derzeit ein Sieg Russlands und des russischen Volkes. Dies ist jetzt bis zu einem gewissen Ausmaß der Inhalt meines Lebens.
Für manchen ist das abstrakt, ob Russland siegt oder nicht. Aber ich nehme das persönlich. Ich finde mich nie damit ab, dass die Opfer vergeblich erfolgten, wenn der Kampf um eine gerechte Sache geführt wird. Selbst wenn diese Sache vorübergehend verloren ist. Damit lebe ich. Wird dieses Ziel leider nicht von mir erreicht werden, so lässt sich träumen, dass jemand anderes es erreichen wird.
Doch die derzeitigen typischen Politiker pfeifen auf das, was mit ihrer Sache geschehen wird. Heute ist man der Demokrat, morgen ein Liberaler, übermorgen dann ein Anhänger der nicht-traditionellen Minderheiten. Es ist interessant, sich die Entwicklung der russischen Politiker anzuschauen. Ihre Reden aus den verschiedenen Jahren zu sammeln und zu vergleichen. Ich bin überhaupt kein Politiker. Für mich ist ganz wichtig, was ich mache, weil ich daran glaube.
Frage: Bedeutet dies, dass Sie nicht in die Politik gehen würden?
Igor Iwanowitsch: Ich will nicht in die Politik gehen. Darüber hinaus gibt es in der modernen Politik für mich gar keinen Platz. Ich bin dafür viel zu gerade und zu ehrlich. Obwohl ich mich als Militärangehöriger auf die Geheimhaltung verstehe wie auf das Intrigieren. Dies aber nur im Rahmen der Arbeit, und nicht wegen persönlicher Interessen.
Dossier
Realname: Igor Wsewolodowitsch Girkin.
Russischer Reserveoffizier, 2. Minister für Verteidigung der Volksrepublik Donezk,Publizist und Schriftsteller.
Wenige Monate lang führte er die Aufständischen in den Kampfhandlungen in Slawjansk und führte anschliessend die Milizeinheiten in Donezk.
Er nahm teil am Transnistrien-Konflikt und am Bosnienkrieg sowie an militärischen Einsätzen in Tschetschenien.
In seiner Funktion an der Spitze der Bewegung „Neurussland“ sammelt er humanitäre Hilfe für den Donbass.
Er ist den monarchistischen Auffassungen und der Ideologie der weissgardistischen Bewegung verbunden.
(Interview und Fotos: Alina BOGADITSA)
Quelle: http://ktelegraf.com.ru/2015/08/04/igor-strelkov-raz-obvinyayut-znachit-vsyo-pravilno-delayu.html
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