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Igor Strelkov

IGOR STRELKOW: RUSSLAND HAT DIE WAHL ZWISCHEN KRIEG ODER KAPITULATION

„Ich bin der Konquistador in der Rüstung aus Eisen“

(Nikolaj Gumilew, 1905).

IGOR STRELKOW: RUSSLAND HAT DIE WAHL ZWISCHEN KRIEG ODER KAPITULATION

übersetzt von MATUTINSGROUP

„Russkij Dosor“, 03. August 2015.-  Freundlicherweise stimmte Igor Strelkow nach einer verlängerten Informationspause einem ausführlichen Interview für „Die Glocken Russlands“ („Russkij Dosor“) zu.

Das Gespräch war sehr enthüllend. Als Kommandeur Neurusslands, als Oberst des russischen Geheimdiensts, als Historiker, als ein zielstrebiger Politikmacher präsentierte Igor Iwanowitsch Strelkow seine Ansicht zur Lösung des Problems Transnistriens, Russlands, der Ukraine, seine Haltung gegenüber den Kremlbeamten und Putin persönlich sowie seine eigene Rolle in der russischen Geschichte.

Und Strelkow lüftete den Vorhang zu seiner eigenen politischen Zukunft.

Frage: Igor Iwanowitsch, zuallererst möchten wir Ihren Standpunkt bezüglich Transnistrien kennenlernen. Das ist jetzt das brennendste Thema. Ist es möglich, Russland in den Konflikt mit Moldawien und der Ukraine hineinzuziehen?

Igor Strelkow: Haben Sie verfolgt, was ich derzeit darüber äusserte? Dies ist ein weiterer Schritt, Russland zu provozieren, ein direkter Beteiligter am Konflikt zu werden. Es jedoch so zu provozieren, dass unser Land nach einem Drehbuch spielen würde, welches der Feind anbieten wird.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass es dem Feind früher oder später gelingen wird, uns in einen Krieg hineinzuziehen. Und dass der Feind versuchen wird, uns zu zwingen, an der aussenpolitischen Front zu kapitulieren.

Aber vom Fakt her denke ich nicht, dass unser Präsident kapituliert. Die einzige Frage ist, wo der Konflikt sich ereignen kann.

Transnistrien ist für ihn das perfekte Sprungbrett. Dieses Gebiet ist von allen Seiten her umgeben von offen Russland gegenüber feindlichen Staaten wie der Ukraine und Moldawien. Die Tatsache, dass diese Länder uns gegenüber feindselig sind, ist übrigens ein „herausragendes“ Verdienst unserer Diplomatie und Aussenpolitik. Deren „Errungenschaften“ ist die Tatsache, dass das pro-russische Transnistrien mit schätzungsweise 150.000 bis 200.000 russischen Bürgern als Einwohnern in einen Belagerungszustand geraten ist.

Es gibt keine Kommunikationskabel nach Transnistrien. Aber die beiden angrenzenden Länder dieses letzten Zipfels der UdSSR waren an einem russischen Kontingent interessiert, als dies dort nicht war und der grösste Teil von Transnistrien nicht existierte. Demzufolge, sollte Russland seinen Verbündeten schützen wollen, muss Russland asymmetrisch vorgehen.

Wir müssen uns entweder in einen Luftkrieg hineinziehen lassen, was äusserst unvorteilhaft ist, weil der Feind alle Vorzüge des Einsatzes bodengestützter Luftabwehrwaffen hat. Oder wir versuchen, mit einem Landkorridor nach Transnistrien durchzubrechen. Letzteres würde Russland sofort als Aggression gegen die unabhängige Ukraine und Moldawien angehängt werden.

Alles, was in Transnistrien geschieht, ist die Folge aus der Unentschlossenheit und meiner Meinung auch aus der Sabotage durch Einzelpersonen in der russischen Führungsspitze, die vor einem Jahr in das ukrainische Problem verwickelt waren. Damals war es möglich, den Korridor mit einem Regiment oder einer Brigade einzurichten und zu tun, was auf der Krim getan wurde, allerdings nur auf dem Territorium von Charkow bis Odessa.

Aber ein Jahr danach stehen wir nun an einer Sackgasse. Die Ukraine bereitet sich derzeit definitiv auf den Krieg vor und wir ganz klar Transnistrien angreifen. Sie haben die Luftverteidigung ausgebaut, ihre Truppen zusammengezogen.

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Frage: Und wie wird die Ukraine dies rechtlich begründen, wo doch Transnistrien ein offizieller Teil Moldawiens ist?

Igor Strelkow: Das wird natürlich über eine Vereinbarung mit Moldawien erledigt werden. Immer wenn es nötig ist, die Handlungen des Gegners zu verstehen, frage ich mich selbst, wie ich vorgehen würde.

Und hier würde ich wie folgt vorgehen: Ein paar Provokationen an der Grenze Transnistriens zur Ukraine organisieren. Dann unter dem Vorwand, dass Moldawien Russland aufgefordert hätte, seine Friedenstruppen zurückzuziehen, ein Ultimatum vorlegen.

Frage: Aber wenn Russland seine Truppen abzieht? Was dann?

Igor Strelkow: Ein neues Ultimatum. Bis dahin, dass nach Rumänien wegen militärischem Beistand gegangen wird, usw. Dies alles hängt von ihrem Verständnis ab. Davon, wie weit gegen Russland zu gehen sie bereit sind. Wenn sie fühlen, dass Russland nicht bereit ist, Transnistrien militärisch zu verteidigen, schlagen sie sofort zu.

Frage: Und glauben sie momentan, dass Russland nicht bereit ist?

Igor Strelkow: Sie versuchen, sich in kleinen Schritten zu bewegen. Wie agierten sie doch gleich in Slawjansk?

Erst feuerten sie aus ihren Waffen an der Frontlinie. Nahm Russland dies hin? Aha! Dann können wir ja mit Mörsern auf die Vororte schiessen! Und wieder sagte Russland nichts. Also versuchen wir es jetzt mal mit der Artillerie! Russland war wieder ruhig. Jetzt versuchen wir den Einsatz chemischer Waffen! Und sie verwendeten sogar Phosphormunition. Und schliesslich begannen sie skrupellos und ohne Zögern die ganze Stadt mit schwerer Artillerie zusammenzuschiessen. Sie begriffen, dass Moskau nicht bereit ist, ihnen einen wirklichen Widerstand entgegenzusetzen. Darum wurden sie dermaßen unverschämt.

In Transnistrien läuft es mit demselben Ansatz. Ich habe schon einmal in einer Rede das Beispiel mit dem Frosch zitiert, welcher auf kleiner Flamme gekocht wird. Er versteht nicht, dass er gekocht werden soll. Bei jeder Erwärmungsstufe passt er sich an, immer wieder. Doch wird er schliesslich gekocht!

Und für die Entfaltung dieser Provokationen ist jetzt Saakaschwili engagiert worden. Das ist der Mann, der auf die Ukraine und Odessa und auf Russland spuckt.

Frage: Denken Sie, dass sein Einsatz dort „zwecks Transnistrien“ erfolgte?

Igor Strelkow: Ich denke, dass dies kein Zufall ist! Aus irgendeinem Grund wurde er nicht in Dnjepropetrowsk eingesetzt, sondern in Odessa. Wie wir wissen, grenzt die Region Odessa an Transnistrien.

Frage: Welche Absicht steckt hinter diesen Aktionen? Transnistrien von Russland abbringen? Revanche? …

Igor Strelkow: Ja, sie haben keine Absicht in Transnistrien! Das ist nur ein kleiner Fleck in einer grossen geopolitischen Situation.

Das hauptsächliche Ziel besteht darin, Putin zur Kapitulation zu zwingen. Ihn völlig seiner Glaubwürdigkeit zu berauben.

Wie in einem alten Märchen brachten sie den Stein an die Kreuzung von zwei Strassen. Die eine Strasse ist der Krieg. Die andere Strasse ist die Kapitulation. Und die Strasse in die Kapitulation gabelt sich sich auch! Und zwar wieder in Krieg oder Kapitulation.

Das ist ein Gesamtsystem! Wäre Russland vor einem Jahr in den direkten Konflikt mit der Ukraine gegangen, dann hätten das Land und der Präsident eine hohe Zahl an Minuswerten in der Wirtschaft und in der Politik. Aber es gäbe ein gewaltiges Plus, und zwar von Charkow bis Odessa!

Russland konnte Millionen von Angehörigen des russischen Volkes rückgewinnen, neben vielen wirtschaftlich entwickelten Gebieten … Aber jetzt, über ein Jahr später, gibt es diese Vorteile nicht länger. Jetzt ist die Zahl der Minuswerte bereits höher als die der Pluswerte. Und je weiter wir versuchen, mit jenen zu verhandeln, die im Grunde nicht verhandlungsbereit sind, um so unwahrscheinlicher ist es, dass wir nach einiger Zeit noch irgendetwas ausrichten können.

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Der Feind wird ständig angespornt. Er sieht unser Zögern. In der kapitalistischen Welt,- einer Welt der wirklichen Räuber, ist es einfach. Schlägst du nicht zurück, dann wird alles gegen dich aufgeboten, vom Polarbären bis hin zur letzten Kakerlake. Denn sie alle finden sich zusammen, um ein Stück von der Beute zu erhaschen.

Jetzt fühlt auch Moldawien, dass Russland nicht der Bär ist. Und so gehen sie daran zuzubeissen. Die Dreistigkeit Polens, die Dreistigkeit der baltischen Staaten, dies wird nur zunehmen, wenn wir uns zurückhalten und zu verhandeln versuchen.

Selbst wenn wir jetzt versuchen, die Unantastbarkeit Transnistriens diplomatisch zu gewährleisten, sagen und wiederholt jetzt sagen, dass wir für Transnistrien kämpfen werden, werden sie uns immer wieder in eine Falle treiben.

Erinnern wir uns noch an so einen „wundervollen“ „Kosakenplan“, als wir die Unantastbarkeit Moldawiens anerkannten? Vergleichbar damit erkennen wir jetzt die Unantastbarkeit der Ukraine im Donbass an. Wundervoll! Eine legale Grundlage für die Intervention, denn wir stehen ausserhalb des alten Vertrags mit Moldawien, nicht wahr? Und wenn morgen das Parlament von Moldawien den Beschluss zur Aufkündigung dieses Vertrags fasst, haben wir nichts zu verstecken und müssen rechtlich die Truppen zurückziehen.

Frage: Aber Transnistrien betrachtet sich selbst als eine unabhängige Republik …

Igor Strelkow: Es glaubt dies zu sein. Aber es ist von niemandem anerkannt. Transnistrien ist seit langem eine unabhängige Republik, seit 1992. Und im Gegensatz zu den Volksrepubliken Donezk und Lugansk hat Transnistrien nie Verhandlungen mit Tschisinow darüber geführt, wie es Teil Moldawiens gegen ein paar Rechte werden soll. Dennoch meint Russland weiterhin, dass Transnistrien ein Teil Moldawiens ist.

Frage: Aber wenn das Parlament Moldawiens den Vertrag aufkündigt, kann Russlands Antwort die Anerkennung Transnistriens sein, wie wir Südossetien anerkannten. Ist dies konkret möglich? Und wie würde dies die Situation beeinflussen?

Igor Strelkow: Die Anerkennung ist möglich. Aber wenn der Vertrag gebrochen wird, wir Transnistrien zugleich als einen unabhängigen Staat anerkennen, dann werden wir kämpfen müssen!

Frage: Ja, wie in Südossetien …

Igor Strelkow: Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir in Transnistrien keine ähnliche Sache wie den Rokski-Tunnel haben, der Russland mit jenem Territorium verbindet. Wir haben nur einen Luftkorridor, den zu benutzen uns nicht gestattet ist.

Daher, wie ich sagte: Russland steht vor zwei Möglichkeiten. Enweder Kampf oder Kapitulation.

Frage: Kann in diesem Fall angesichts der Sanktionen die Armee Neurusslands dorthin kommen?

Igor Strelkow: Die Armee Neurusslands ist zahlenmäßig dreifach ihrem Gegner unterlegen. Und da glauben Sie, dass dieser Angriff Aussicht auf den Sieg hat?

Frage: Es gibt Meldungen, wonach dort zwei kampffähige Armeen aufgestellt worden sind.

Igor Strelkow: Wenn ich ein Stück Papier in die Hand nehme und aufschreibe, dass geschafft worden ist, zwei kampffähige Armeen zu bilden, dann habe ich nicht vor mir, dass diese beiden Armeen in Erscheinung treten werden.

Ja, im Herbst war die Armee Neurusslands noch fähiger als die Streitkräfte der Ukraine. Aber jetzt ist sie es nicht mehr. Warten wir mal weiter, wie deprimierend für sie „Minsk-1“, „MInsk-2“ usw. ist.

Für die Ukraine ist die Zeit nicht verloren gegangen. Hinzu kommt, dass die Ressourcen der Ukraine selbst bei Menschen die Ressourcen des Donbass um ein Vielfaches übersteigen. Der Gegner ist zwar dumm, aber er hat mehr Menschen. Selbst wenn jeder Einwohner von Donezk und Lugansk einen Panzer darstellen würde, wäre die Bevölkerung keine Panzerarmee. Für einen Militär ist dies ganz klar so

Frage: Aber wird es ein „Minsk-3“ schon bezüglich Transnistrien nach den Provokationen in diesem Gebiet geben? Um den Frosch wieder viel länger auf kleiner Flamme zu kochen und dadurch Russland zu hypnotisieren.

Igor Strelkow: Die Ukraine ist versessen auf den Krieg. Wie ein Drogenabhängiger, der auf schwere Drogen steht, kann sie nicht ohne den Krieg existieren.

Dort geht alles in Kreisen. Vorbereitung, Russland angreifen, einen Schlag vor den Bug erhalten. Dann wieder: Vorbereitung, wieder angreifen.

Die Ukraine kann nicht in Frieden existieren, weil alle ihre Ressourcen auf den Krieg ausgerichtet worden sind. Der Sieg in diesem Krieg ist die kleine Überlebenschance für die Ukraine.

Sie können die Situation nicht einfrieren. Sie wurden aufgebaut für den Krieg, denn ein Einfrieren dieser Situation führt zum Fall für die Junta. Und zwar aus einem einfachen Grund: Hat sie nicht dieses Dopingmittel eines äusseren Feindes in Gestalt von Russland, dann beginnen unmittelbar ganz unbequeme Fragen: Warum geht es uns so schlecht nach der „Revolution der Würde“? Nur der Sieg, und zwar der volle Sieg, kann das Überleben der Ukraine als Staat oder besser als ein Pseudo-Staat liefern. Daher werden sie kämpfen, als ob so viel „Minsk“ mit ihnen nicht vereinbart worden wäre.

Und ich muss mich fragen: Sind wir so bescheuert, Wladislaw Jurjewitsch Surkow (FSU-Präsidentenberater – Red.)? Ich denke, doch wohl nicht! Er ist ein kluger und begabter Mensch. So bedeutet das,- wer ist er? Das bedeutet, dass er die Pest ist! Das bedeutet, dass er eine Politik Russlands aufbaut, welche Russland nie zum Erfolg geführt hat! Er gestaltet etwas, dann vergeht die Zeit, und dann startet er neu: „Minsk-1“ scheiterte. Er startete „Minsk-2“. Das zweite Minsk scheiterte, er wird ein drittes starten!

Die äusseren Bedingungen für Russland verschlechtern sich mit jedem Neustart. Und ich bin 100% sicher, dass er sich bestens darüber im klaren ist, dass all dies zum Scheitern verdammt ist. Für ihn ist eben das Scheitern annehmlich. Für ihn persönlich, oder seinen Chef. Und wer ist sein Chef?

Frage: ???

Igor Strelkow: Woher kam er zur Präsidentschaftsadministration? Erinnern wir uns daran. Von der „Alpha-Gruppe“.

Wer ist die „Alpha-Gruppe“? Das ist Friedman, durch welchen das Auslandskapital in der Periode der „Gutschein-Privatisierung“ nach Russland strömte.

Und jetzt hängt Surkow mit Friedman zusammen. Die Frage wirft sich von selbst auf: Wem stehst du zu Diensten, Wladislaw Jurijewitsch? Dem Präsidenten? Oder möglicherweise jemand anderem?

Ich denke, dass die Antwort auf der Hand liegt. Aber nicht zugunsten des Präsidenten.

Frage: Gibt es derzeit einen Nutzen aus den Vereinbarungen von Minsk? Sozusagen eine Atempause?

Igor Strelkow: Nein! Sie verschafften der Ukraine eine Pause. Das ist kein Nutzen für Russland. Für die Volksrepubliken Donezk und Lugansk liegt darin kein Nutzen.

Frage: Igor Iwanowitsch, aber was ist das Wesen an der Wurzel all des Übels? Ist dies die Tatsache, dass Russland unentschlossen und passiv auftritt, auch bei den wichtigsten und kritischsten Fragen seiner Existenz?

Igor Strelkow: Das ist alles klar: Die Leute an der Macht haben ihre Kinder, ihr Geld und ihre Eigentümer im Ausland. Sie wollen nicht mit dem Westen in Streit geraten. Aber Krieg ist ein Streit mit dem Westen.

Die Strategie des Westens besteht darin, dass unsere Oligarchie sich an sie selbst verkauft hat, und zwar mit ihrem Verrat an Russland gegen einen Ablaß. Ein schwerer Krieg mit dem Westen ist für unsere russische Oligarchie die Gefahr des Verlierens all dessen, was ihnen teuer ist.

Wäre da etwas teuer für Abramowitsch? Heute las ich im Internet, dass Abramowitsch beschloss, für Chelsea ein neues Stadion mit Kosten von 500 Millionen Pfund zu bauen.

Und da möchte ich eine Frage stellen: Wessen Oligarch ist Abramowitsch? Ein englischer oder ein russischer?

Er lebt ständig in England. Seine Familie ist in England. Sein Geld war auch in England. Er baut dort auch ein Stadion, in England.

Aber er wird ein russischer Oligarch genannt. Und damit steht er nicht allein da.

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Frage: Aber dann, warum wurde die Krim noch eingenommen? Wenn „unsere“ Oligarchen daran nicht so interessiert sind? Oder, genauer, warum die Krim, aber danach gestoppt?

Igor Strelkow: Wissen Sie, ich kann dasselbe beim Fragen machen: Gott, bitte gib mir ein Verständnis, warum erst die Krim eingenommen wurde und danach gestoppt wurde.

Ich hatte ein Gefühl, dass nach dem Eingliedern der Krim Russland beschlossen hat, seine Souveränität wiederherzustellen.

Jetzt ist für mich als Historiker, als einstiger Geheimdienstmitarbeiter, in beiden Fällen jemand mit sozusagen analytischen Fähigkeiten klar, dass die Krim eine „rote Linie“ war. Sie zurückzusetzen, ist unmöglich!

Das ist kein Computerspiel, wo man was abspeichern kann und nochmal losspielt. Aber es hat den Anschein, dass unsere Regierung immer noch kein Verständnis all dessen hat. Kein Verständnis dafür, dass es nach der Krim unmöglich ist zurückzuweichen.

Frage: Heisst dies, dass da nur der eine Krieg bleibt?

Igor Strelkow: Krieg ja, aber nicht unbedingt ein heisser Krieg. Krieg ist ein komplexes und grosses Konzept. Die Wiederherstellung der Souveränität Russlands schliesst verschiedene Aspekte ein. Ja, zumindest den „Kalten Krieg“. Aber auf regionaler Ebene ist auch der „heisse Krieg“ möglich.

Wie Sie sehen, lässt man uns nicht einfach so davonkommen. Die Ukraine ist eine riesige Wanze, die von uns das Blut trinkt, welches wir ihr geben,- aber sie geht nicht weg. Sie ohne Blut loszuwerden, geht nicht.

Entweder müssen sie damit gebändigt werden, dass im Unterbauch von Russland das Nazi-Regime herrscht, welches uns früher oder später immer noch angreifen wird. Oder es ist nötig, Kiew zu besiegen und zu befreien!

Ich sprach darüber vor einem Jahr. Aber es hat den Anschein, dass unsere Regierung das nicht versteht. Sie denkt, dass man was reingeben muss, um zu verhandeln. Und danach mit Gesichts- und Geldwahrung zu den Vorkriegszeiten zurückkehrt.

Nein! Der Krieg ist schon im Gange. Und wir haben ihn nur zu verlieren oder zu gewinnen. Es gibt keine andere Option. Die Kapitulation in Transnistrien wie auch in Donezk und Lugansk wird einen Verlust in einem Krieg bedeuten, welcher auf der Krim begann. Und die Krim würde zurückgegeben werden.

Aber dann gibt es die Probleme! Nie hat jemals Russland bisher einen Krieg verloren, und dabei wäre etwas Gutes herausgekommen. Stets folgte auf die Niederlage ein Aufruhr.

Frage: Sehen Sie als Historiker Parallelen zwischen der derzeitigen Situation und dem Beginn beispielsweise des 1. Weltkriegs (die schwere Lage, bei der zum Katalysator der Probleme die Revolution von 1917 wurde) oder gibt es da Parallelen mit der Schwelle zum 2. Weltkrieg?

Igor Strelkow: Historische Parallelen können zwischen allem gezogen werden. Unsere Gegner, die Gegner des russischen Präsidenten, einst eingeschüchtert vom Schicksal Hitlers, lassen immer noch völlig unkorrekte Parallelen zu. Beispielsweise vergleichen sie die Wiedervereinigung der Krim gegenüber Russland mit dem Anschluss von Österreich (an das faschistische Hitler-Deutschland 1938 – Red.). Aber der Unterschied zwischen diesen beiden Ereignissen ist sehr gross. Erstens weil Hitler die Weltherrschaft begehrte und dies nicht verbarg. Russland strebt nicht nach der Weltherrschaft. Ich denke, dass selbst bei den verrücktesten Beamten diese Idee niicht aufkommt.

Russland strebt einfach danach, seine Souveränität wiederherzustellen. Und die Rückkehr Neurusslands nach Russland bewerte ich als einen Schritt bei der Wiederherstellung der Souveränität. Denn ohne die moderne Rüstungsindustrie der Ukraine ist der russische militärisch-industrielle Komplex auf einem Bein lahmgelegt. Ohne Wiederherstellen zumindest eines Teils der sowjetischen militärischen Potenzials kann von einer Souveränität Russlands in der modernen Welt überhaupt keine Rede sein.

Dessen ungeachtet ersehnt Russland die Wiedervereinigung der angestammten Länder, welche ihm vor sehr kurzer Zeit weggenommen wurden, und welche zuvor jahrhundertelang Teil des Landes gewesen waren, was als eine Aggression und als Faschismus interpretiert wird.

Aber die Analogie mit dem 1. Weltkrieg ist klar genug aufgezeigt worden: die unschlüssigen Aktionen der Regierung, militärisches Scheitern, Missverständnisse über die Kriegsziele bei der Bevölkerung,- all dies kann zur Enttäuschung führen. Dieselbe patriotische Begeisterung, die nach der Rückkehr der Krim da war, die wie eine riesige Welle alles überrollte, kann aber auch zurückrollen.

Frage: Aber es gibt so einen Gesichtspunkt. Man sagt, dass der Kreml nicht sonderlich in den militärischen Konflikt in der Ukraine eingreifen sollte, weil die Junta sich selbst abwirtschaften wird. Ein Konflikt der Fraktionen, der Krieg aller gegen alle wird den Fall entscheiden. Und dann wird das Volk revoltieren und wird die Ukraine uns in die Hände fallen. Was denken Sie darüber?

Igor Strelkow: Ich sehe ein etwas anderes Bild. Für den Teil des Regimes, welcher eng verbunden ist mit den Oligarchen und durch sie mit dem Westen, ist es sehr unvorteilhaft, wenn Russland in diesen Krieg eintritt. Daher werden diese Leute alles tun, um diesen Moment hinauszuzögern. Was generell zu verhindern wünschenswert wäre.

Verstehen Sie, dass viele von ihnen glauben, dass der Tod Russlands ihre persönliche Zukunft nicht beeinträchtigen würde. Um Russland muss man sich sorgen. Wer als Russe sein Land liebt, lässt seine Kinder nicht im Ausland ausbilden und kauft keine Immobilien an der Mittelmeerküste.

Aber diese Leute denken nur an sich selbst, an ihren persönlichen Reichtum. Die Souveränität und die Unabhängigkeit Russlands sind für sie hohle Klänge. Das russische Volk ist für sie eine leere Phrase.

Sie sind für sich die „Übermenschen“. Das ist die abscheulichste Kategorie von Menschen, die es gibt. Diese „Iwans“ erinnern sich an keine Verwandtschaft. Von ihnen stammt das Weltbild „Man darf nicht kämpfen, sondern muss kapitulieren“.

Und wir setzen das Komma an eine andere Stelle. „Man muss kämpfen und soll nicht kapitulieren“. Jetzt geht der Hauptkampf darum, wohin wir das Interpunktionszeichen setzen. Gewinnen sie, kapitulieren wir, aber dann setzen die Probleme auf dem Territorium Russlands ein. Aber wenn wir gewinnen, dann müssen sie sich von einem wesentlichen Teil ihres Kapitals im Westen trennen, denn ihre Komplizen sind dann unverzüglich dabei und rauben sie aus. Somit unterstützt der Westen auch einen Konflikt mittlerer Intensität mit Russland (ein heisser Krieg und die gegenseitige Verwüstung stellt ihn nicht zufrieden), um unsere Regierungsspitze zu unterlaufen und einen Palastputsch zu inszenieren.

All diese „Farbenrevolutionen“, vor denen wir uns fürchten, sind blanker Nonsens. In Russland ist die Regierung immer im Ergebnis von Palastrevolten ausgetauscht worden.

Frage: Halten Sie dies für wahrscheinlich?

Igor Strelkow: Ich denke, dass die Verschwörung gegen den Präsident bereits existiert! Igor Strelkow Teil 2 – „Putin ist der Nagel, der alles hält, und ihn wollen sie rausreissen.“

Frage: Aber es wird geglaubt, dass Putin alles und jeden kontrolliert!

Igor Strelkow: Also bitte! Die Staatstheorie besagt zur Kontrolle, dass der Staatschef, selbst wenn er ein Genie ist, eine Gruppe von nicht mehr als 12-15 Personen leiten kann.

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Frage: Gut, lassen wir ihn diese 15 Personen leiten. Und sie führen den gesamten Rest. Vertikale Machtausübung. Hinzu kommt, dass diese 15 dem Präsidenten vollends verpflichtet sind.

Igor Strelkow. Aber sie kamen zur Macht als Lumpen, um den Reichen verpflichtet zu sein. Im Leben Napoleons war dies der Fall: Er ist zum Marschall aufgestiegen und sein Sohn wurde mit einem Herzogtitel nach oben befördert. Aber im entscheidenden Moment wollte der Herzog mit seinem Herzogdasein verbleiben, anstatt den Staat zu retten. Folglich agierte er für das Scheitern von Napoleon.

Ähnlich können verschiedene Leute im Umfeld des Präsidenten sein. Ich bin sicher, dass viele ihm gegenüber noch loyal sind. Aber es gibt dort auch jene, die ihn drängen, sich auf die  Kapitulationsbedingungen einzulassen. Ich denke, dass diese in die Verschwörung verwickelt sind.

Frage: Aber nur dann, wenn das private Kapital und der Status diese Leute prädestiniert, im Interesse des Westens zu agieren.

Igor Strelkow: Es gibt das Konzept des „Einflussagenten“. So eine Person leistete nicht unbedingt den Eid auf einen anderen Staat oder ist irgendwo eingeschrieben. Sondern es ist so ein System geschaffen worden, wo eine Schlüsselperson voller Einfluss die Politik eines anderen Staates beeinflussen kann.

Bei uns sind westliche Einflussagenten seit 1991 sehr stark in den Machtpositionen vertreten. Wieder das Beispiel Surkow. Vier seiner Kinder sind wo? In London. Und sein gesamtes Geld ist dort, denke ich. Gut, sagen Sie mir, wessen Einflussagent ist er? Und als Mensch sitzt er in einer Brennpunktfunktion! Neurussland ist jetzt der Brennpunkt für die gesamte russische Aussen- und Innenpolitik!

Und so ein Mann sitzt derzeit an diesem Brennpunkt! Wie kann man jemandem vertrauen, der in jeder Hinsicht angreifbar ist?

Frage: Es gibt da übrigens Gerüchte, dass Surkow aus dem „Neurussland-Projekt“ entfernt wird …

Igor Strelkow: Ich höre dieses Gerücht seit September vorigen Jahres. Solange ich kein Rücktrittschreiben von Wladislaw Jurijewitsch vom öffentlichen Dienst gesehen habe, ist er der Präsidentenberater und sind dies alles nur Worte.

Frage: Aber das ist wirlich ein ganz wichtiger Punkt, das ist wirklich der Schlüssel: Werden wir Neurussland verteidigen oder nicht? Darum sind auch Personalentscheidungen erforderlich. Glauben Sie nicht, dass diese Entscheidungen geschehen werden?

Igor Strelkow: Auch die Personalentscheidungen laufen anders. Ich will dafür nicht unseren Präsident kritisieren. Aber seine Personalpolitik erinnert an ein Kartenspiel. Ich spiele wirklich nicht mit Karten. Jetzt ist das Prinzip dieser Politik, dass ein Mann dort selbst dann nicht aus dem Spiel verschwindet, wenn er in seiner Funktion scheitert.

Beispielsweise scheiterte so jemand im Gesundheitsministerium seinerzeit und wurde dann zum Botschafter in Kiew ernannt. Dort bricht er wieder zusammen. Aber er wird irgendwo anders untergebracht. Die Karten bleiben unverändert im Spiel.

Dieses Kartenspiel wird nach dem Prinzip der persönlichen Loyalität gebildet, oder besser, gemäß der Tatsache, was der Präsident unter dem Konzept der persönlichen Ergebenheit versteht.

Ich denke nicht, dass er begreift, dass die Leute weniger ihm als viel mehr den Zuwendungen aus ihrer Zugehörigkeit zu diesem Kartenspiel zugeneigt sind. Aber wie kann er aus seiner Nomenklatura ausbrechen? Das ist nicht nur sein persönliches Schicksal, sondern das Schicksal Russlands.

Der Präsident ist jetzt zugleich an der Basis und an der Spitze der beiden Pyramiden,- des Staates und der Nation. Auf die Macht des Volkes vertraut er nicht. Das Volk vertraut ganz ähnlich nicht der Regierung. Aber es vertraut dem Präsident und dem Volk und der Regierung, weil dies für die einen und die anderen legitim ist. Und keine Regierungsstelle kann der Legitimität des Präsidenten gleichkommen.

Putin ist jetzt eine sakrale, eine heilige Figur. Ausser ihm gibt es dort niemand. Wenn sie ihn stürzen, dann wird das Volk das Regime zusammenbrechen lassen, und es werden wieder die Wirren anfangen.

Ich bin kein grosser Verehrer des Präsidenten als Person. Ich bin kein Arschlecker. Aber ich verstehe vollends, dass die Wirren das Schlimmste sind, was unserem Land passieren kann. Daher denke ich, dass Putins Interesse die Rettung des Landes ist. Und das Interesse des Landes ist die Erhaltung des derzeitigen Präsidenten.

Putin ist jetzt jener Nagel, an dem sich alles festhält. Zieht man ihn raus, würde alles zusammenbrechen

Frage: Aber was ist zuerst zu tun, was nicht getan worden ist, wenn man das schlimmste Drehbuch verhindern will?

Igor Strelkow: Russland muss sich völlig verändern. Zuallererst verstehen, was es will. Um eine klare Politik zu haben, die nicht von Rohstoffleitungen und Gaspreisen diktiert wird, sondern von der Entwicklung des Landes. Man muss verstehen, dass das Problem des Präsidenten und seines Umfelds, die ohne ihr Wissen derzeit dem Feind zuarbeiten, nicht die Einflussagenten sind, sondern die Unterschiede zwischen den Zielen und den Methoden. Sie wollten das Eine und bekommen das Andere.

Sie wollten Russland in den Westen integrieren, indem sie einen Teil seiner Souveränität an ein internationales Management abgeben und ein Gebäudeblock der westlichen Zivilisation werden. Aber sie erwarteten dabei nicht den letzten Platz, gewiss keinen Status von Burkina Faso.

Aber sie werden nicht aufgenommen! Der Westen braucht nur eine Rohstoffleitung und eine gewisse Menge Leute, um sie zu betreiben. Das ist alles!

Mehr braucht der Westen von uns nicht. Alles weitere wird er selbst bewerkstelligen können.

Wir versuchten wirklich, uns in das System einzugliedern. Aber sie haben vor uns einen Schlagbaum hingestellt. Und dann begann das Befremden unserer Führung. Wir tun derzeit alles für Euch, aber was tut Ihr für uns? Aber dies wird als Aufruhr bewertet, der im Keim erstickt werden muss, um die Anderen einzuschüchtern.

Aber Tatsache ist, dass Russland zusammen mit der Ukraine und Belarus autark sein kann. Russland kann sich selbst versorgen, wenn auch nicht auf der Ebene eines „Paradies auf Erden“.

Erlangt Russland seine wirklliche Souveränität, bricht die globale Vorherrschaft der USA sofort zusammen. Denn wir haben immer noch die Ressourcen, darunter auch die Überbleibsel des Chefs des Nuklearklubs. Uns blieb eine Bevölkerung, die sich immer noch daran erinnert, dass wir einst in einem grossen Land lebten und nicht in einer Rohstoffkolonie und einer „Energiegrossmacht“. Aber dies ist für den Westen gefährlich.

Und unsere Beamten werden beleidigt. Einerseits wird ihnen verwehrt, sich weiter in den Westen einzugliedern. Andererseits wird gegen sie gekämpft, Andererseits kämpft man nicht mit der Waffe gegen sie, weil sie mit ihren Gedanken nach Westen streben. Das ist die Wasserscheide. Der Westen beendet diesen Konflikt nicht, indem er allein die vollständige Kapitulation fordert. Während der Kreml derzeit versucht, andere Optionen anzubieten.

Daher erzählten die Beamten auch dem Präsidenten, dass er angeblich zu einem Kompromiss mit ihnen kommen würde. Aber dies wird nur zum Schicksal von Milosevich, Gaddafi und Saddam führen.

Frage: Igor Iwanowitsch, in den Köpfen des Volkes sind sie ein Beispiel für den aufrechten russischen Offizier, ein Mensch in der Art von Gumilew. Einige sehen sie fast als einen Samurai, getreu dem Fahneneid.

Aber jetzt gibt es in Russland ein umfassendes politisches Erklärungsspektakel bei einem beachtlichen Teil des politischen Spektrums. Wie fühlen Sie sich in der Nähe dieser Leute?

Hinzu kommt, dass Sie nach unserer Meinung mehr denn je in der russischen Politik nötig sind. Dennoch hat es den Anschein, dass Sie absichtlich von einer vollzeitmäßigen politischen Aktivität ausgeschlossen werden.

Beispielsweise sagten Sie kürzlich, dass Sie sich selbst nicht in der Politik sehen, weil es unmöglich ist, solche Aktivitäten in Russland auf ehrliche Weise zu entfalten. Die Gründe dafür sind ganz klar: Sie wollen sich in der Politik nicht schmutzig machen. Sie wollen niemandem verpflichtet sein.

Kann man nichtsdestotrotz nicht doch jemand wie Sie in die Politik einbauen? Möglicherweise lassen Sie dies einfach derzeit geschehen? Wie sollte nach Ihrer Meinung ein derzeitiger Politiker sein?

Igor Strelkow: Ich befinde mich da in einer gewissen Sackgasse oder auch Falle. Um mich herum sehe ich absolut erstaunliche Handlungen aus Stumpfsinn oder Schädlingstätigkeit … und da ist nicht sehr klar, wo dies aus Stumpfsinn und wo dies aus Schädlingstätigkeit erfolgt,- aber das Ergebnis ist identisch. Aber ich verstehe, dass eine andere Regierung bei uns jetzt nicht vorhersehbar ist. Wenn ich jetzt gegen die Staatsmacht auftreten würde, wäre ich faktisch jener in den Reihen der Feinde. Nicht der Feinde der Regierung, sondern viel mehr der Feinde Russlands als Staat.

Einige „sehr kluge Genossen“ beschuldigen mich gerade dessen, dass ich gegen die Regierung auftrete. Aber das ist die Unwahrheit. Ich denke, ich bin historisch hinreichend gebildet, beschäftigte mich mit der russischen Geschichte des Anfangs des XX. Jahrhunderts, und ich will das Schicksal Miljukows oder Gutschkows ganz und gar nicht wiederholen. Gutschkow schrie von der Tribüne der Staatsduma: „Was soll das? Ist das die Dummheit oder der Verrat?“ An diese Aktion von ihm erinnern sich jetzt nur die Historiker, wie überhaupt an jenen Gutschkow. Aber ich will kein Gutschkow sein.

Wenn ich mich jetzt politisch engagiere, müsste ich mich in die Opposition einreihen. Aber Ich verstehe, dass in den jetzigen Bedingungen die Opposition unmöglich ist!

Engagiere ich mich jetzt andererseits für die reine Pro-Präsident-Politik, müsste ich in irgendeinen lächerlichen „Antimajdan“ eingegliedert werden. Als ehrlicher Mensch gehe ich nicht zu all diesem Wirrwarr, welches ringsum geschaffen wird.

Und es geht mir nicht darum, dass ich mich vor dem „Beschmutzen“ fürchten würde. Ich bin immer noch ein FSB-Offizier. Und wäre ich taubenweiss, hätte ich in diesem Dienst nichts zu suchen.

Ich trat doch 1999 bis 2005 in Tschetschenien nicht an die Öffentlichkeit. Aber dort war der FSB tätig. Ich denke, dass dies generell verstanden wird. Das ist nicht mehr konkret die Sendung von humanitärer Hilfe.

Der Punkt dabei ist nicht, beschmiert zu werden oder nicht, sondern keinen Schaden anzurichten. Ich bin menen Ohren in die Situation in der Ukraine gefolgt. Das war gut. Aber nicht, wie ich es mir vorstellte.

Ich dachte, dass es keinen Rückweg gibt. Und ich handelte, um die Rückzugsbrücken niederzubrennen.

Aber dort oben dachten sie offensichtlich ganz anders. Ich dachte, dass ich die Speerspitze bin, dass hinter mir auch die gesamte Lanze mitgehen würde. Aber, es lief anders. Den Speer haben sie losgeschickt. Aber hinter ihm ist niemand losgerannt. Der Pfeil flog und flog dahin. Der Speer zündete den Schuppen an. Und alle stehen da und schauen zu, wie er brennt.

Hier werde ich jetzt in die Politik geraten. Soll ich einer der Schirinowskis werden? Ich will das nicht. Mich zu den „Bolotniks“ begeben? Die mir doch vom ganzen Wesen her zuwider sind?

Somit ist es nicht einfach so, dass ich mich davor fürchte, dass ich beschmutzt werde. Eine saubere Politik ereignete sich nicht, sondern da ist der Krieg. Aber wenn Politik nur aus Karrieregründen gemacht wird, dann ist das keine Politik, sondern Prostitution.

Ja, die Politik ist ein schmutziges Geschäft. Aber wenn ein Mensch im Interesse der Gesellschaft und des Volkes handelt, wird er ein grosser Politiker und niemand würde sagen, dass er ein Prostituierter ist.

Beispielsweise kann man Stalin ziemlich kritisieren. Als Mann war er sehr doppeldeutig. Bei ihm geschahen eine Großzahl Verbrechen, Fehler. Aber niemand würde sagen, er tat dies für Geld.

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Foto: Eine versteckte Werbung für Lenovo)

Frage: Das stimmt. Sie sagten, als er gestorben ist, es sich zeigte, dass er persönlich nur einen Mantel und seine Filzstiefel hatte.

Igor Strelkow: Es geht nicht um den Mantel und die Filzstiefel. Sondern darum, dass für viele Menschen die Machtfülle ein Magnet ist, welcher attraktiver als Milliarden ist.

Aber auch die Macht um der Macht wegen ist nicht das seinerzeitige Ziel für diesen großen Politiker gewesen. Dieses Ziel steht für irgendwelche Selbstgefälligen. Deshalb muss die Politik nicht danach bewertet werden, was jemand gesagt oder nicht gesagt hat, sondern was er getan hat, und was das Ergebnis für das Land und das Volk ist.

Bei Stalin blieben beispielsweise Ergebnisse, die gemischt aus etwas Großartigem und etwas Schrecklichen bestehen. Genauer, sogar als eine Horrorfigur war er großartig.

Aber was von unserem Präsidenten bleibt, ist immer noch nicht bekannt. Wir erkennen dies in diesem Jahr oder in zwei oder mehr Jahren. Aber wenn ich von meinem Standpunkt richtig liege, so wird er nicht für Jahre, sondern Jahrzehnte handeln. Denn solche Menschen wie er kommen für immer, anders ergibt es überhaupt keinen Sinn zu kommen.

Frage: Wissen Sie, wie der Präsident zu Ihnen persönlich steht?

Igor Strelkow: Nein.

Frage: Was hören Sie vom Kreml?

Igor Strelkow: Das völlige Ignorieren. Eine Stopliste für alle Kanäle, die noch funktionieren. Dort erwähnen sie mich nicht. Ich kann nicht sagen, dass sie dort um mich trauern wir um Nawalny oder die Leute vom „Weissen Frühling“. Ich existiere einfach nicht für sie.

Frage: Wodurch sind Sie so gefährlich für die Regierung?

Igor Strelkow: Vor allem durch die Tatsache meines Vorhandenseins. Obwohl dies leicht zu korrigieren wäre. Aber jetzt ist es anscheinend so, dass es für die Regierung nicht vorteilhaft ist, mich loszuwerden.

Andererseits passe ich nicht in ihren Standard. Nach ihren Vorstellungen müsste man mich kaufen. Wie bitte? Mich kann man nicht kaufen. Ich bin ein Idealist. Ich bin ein zynischer Mensch, aber noch immer ein Idealist. Kann man mich einschüchtern? Wieder,- wie?

Frage: Sie könnten beispielsweise in eine hohe Funktion eingesetzt werden, um sie dadurch zu entschärfen.

Igor Strelkow: Mich zum Chef einer Regierungsabteilung zu machen, bedeutet mir einen Blankoscheck zu erteilen. Mich kann niemand anrufen und mir sagen, ich soll machen, was für Iwan Iwanytsch nötig ist. Ich würde antworten, dass Iwan Iwanytsch ein Dieb ist. Dass man ihn festnehmen muss. Bestenfalls würde ich Iwan Iwanytsch ignorieren. Was soll man da also mit mir machen? Mich rauswerfen?

Frage: Gut, dann werden wir die Frage umdrehen: Kann man sie als Mensch vereinnahmen, verführen, zu Karrierezwecken?

Igor Strelkow: Ich denke, dass dies in dieser Situation so gut wie gar nicht geht. Natürlich kann man mit mir etwas vereinbaren. Sagen wir mal, du arbeitest im Rahmen eines Kompetenzbereiches in bestimmten Grenzen, an die du nicht stösst. Und du bringst dem Land in jener Weise Nutzen, die du für angebracht hältst. Und wir behelligen dich nicht. Das heißt, alles wird darauf zurückgeführt, was sie mit mir vereinbaren können. Sie geben mir nur den Blankoscheck. Aber darauf wird niemand von ihnen eingehen.

Außerdem sitzen sie doch alles aus. Die Krise ist schon da. Und das ist genau diejenige Krise, die sie selbst gestartet haben. Sie wird nicht an den Ausgangspunkt zurückkehren. Der Bericht geht nur vorwärts.

Frage: Aber wenn „sie“ sich jetzt das Spiel anschauen, was geschieht?

Igor Strelkow: Einer von ihnen setzt gerade auf die Business-Jets. Als übrigens Janukowitsch weglief, hoben Dutzende Business-Jets in Kiew ab. Die blauen Diebe und die mürrischen Gangster flohen aus der Ukraine.

Auch bei uns hofft man zu entkommen, aber irgendjemand sollte an der Macht bleiben. Ich gebe zu, dass einige damit sogar etwas sehr Nützliches machen wollen.

Frage: Es gibt die Meinung, dass Sie sich zurückhalten. Aber wenn die Zeit kommt, werden sie an Ihr Arbeitsfeld gehen, Igor Iwanowitsch.

Igor Strelkow: Mich kann man nur für einen Fall heranziehen. Wenn der Beschluss über ein hartes Gegenhalten gefasst ist. Nicht zwangsweise anzugreifen, aber auf dieser oder jene Weise zur Wiederherstellung der Souveränität des Landes beizutragen.

Aber derweil hat die Führung kein Verständnis dafür, dass dies der einzige Ausweg ist. Wird dieses Verständnis kommen, dann werde ich mich vielleicht für und auf etwas eignen.

Ich bin gegenwärtig ein FSB-Oberst im Ruhestand. Möglicherweise werde ich auch in die Funktion des stellvertretenden Leiters der besonderen Abteilung irgendeiner Armee oder eines bewaffneten Verbandes einberufen. Aber ich hege keine sonderlichen Illusionen und baue auf dieses Kalkül nicht. Jedes Unkraut hat seine gegebene Zeit. Und in ein und dasselbe Wasser zweimal einzutauchen ist unmöglich. Und von mir braucht man nicht zu erwarten, dass ich künftig irgendwelche Superheldentaten begehen werde.

Denis Dawydow, der Held des Vaterländischen Krieges 1812 blieb in unserem Gedächtnis wie der Partisan, zum Beispiel. Aber eigentlich ist Denis Dawydow im Dienstgrad eines Generalleutnants gestorben und hat eine völlig erfolgreiche Karriere gemacht. Er befehligte eine Kavallerie-Division. Aber niemand erinnert sich an ihn als General. Man erinnert sich ihn wie an die Partisanen. Also ist dies auch sehr befriedigend.

Jetzt habe ich nicht die Möglichkeit, für Neurussland den Krieg und die Soldaten zu führen. Ich führe den Krieg somit publizistisch. Und das betrachte ich als die Fortsetzung des Kampfes auf dem einzigen mir jetzt zugänglichen Niveau.

Die Idee Neurussland ist richtig! Für sie sind Zehntausende Menschen mit den Waffen in den Händen und Millionen Menschen in unserem Land eingetreten. Was könnte mir diese großartige Idee gegen irgendwelche Duma-Sessel eintauschen? Mich einer Parteidisziplin unterwerfen? Und für wen werde ich mich danach halten? So wird die Sache nicht laufen.

Frage: Heisst dies, dass Sie das Werk des Volkshelden zufriedenstellen wird, der Sie heute sind?

Igor Strelkow: Mich stellt meine beliebige Teilnahme am Schutz des Landes vollends zufrieden. Ich bemühe mich jetzt (und sage dies laut), weil wir keine Ressourcen für eine normale Hilfe an Neurussland haben. Wir sind Knirpse! Wir sind Knirpse gemessen an dem, was dort wirklich notwendig ist. Und dies ist selbst dann so, wenn man irgendeine Handlung nimmt.

Aber meine öffentliche Tätigkeit ist nicht politisch. Es ist vergeblich, wenn sie jemand so wahrnimmt. Sie sagten zum Beispiel, dass „Strelkow im PR-Graben gescheitert ist“. Was ist das dort für eine PR-Gesellschaft! Wenn ich sie führen würde, würde nicht nicht halb so viel sagen, wie ich jetzt sage!

Doch vollends ignoriert von der Regierung und abgeschnitten durch alle möglichen Hebel der Machhaber gilt für mich einfach mein Ermessen. Und als moralische Hauptaufgabe sehe ich den Schutz Neurusslands. Weil ich verstehe, dass Neurussland für die Wiederherstellung der Souveränität Russlands und das Herausziehen der Länder aus jenem Sumpf notwendig ist, in den die Liberalen sie getrieben haben.

Ich verteidige diese Idee eben, obwohl Noworossija für jene Prostituierten nicht nötig ist, die vorgestern bereits brüllten, „wir werden bis nach Kiew kommen!“, gestern äusserten, „wir werden Neurussland bis an die Grenzen des Territoriums der Regionen Lugansk und Donezk wiederherstellen!“, aber heute tönen „wir werden im Rahmen der Ukraine existieren“.

Es ist so weit gekommen, dass die Chefs der Volksrepubliken Donezk und Lugansk am Morgen das Eine und am Abend das Andere sagen. Wie es heißt,- vor Scham bekommen sie das Auge nicht auf. Aber wenn ich meine Position hatte, bin ich auch dabei geblieben.

Frage: Oder sind Sie die Persönlichkeit aus einem solchen Stall, die in den kritischen Situationen am besten vorgeht?

Igor Strelkow: Das sagte ich Ihnen gerade!

Frage: Das heißt, der Krieg ist die Mutter, die Sie gebar?

Igor Strelkow: Nicht ganz so. Das Alter macht schon nicht mehr mit, um mit der MPi zu laufen und dabei die Begeisterung zu testen. Ich steuere lieber vom Deck aus.

Im Gegenteil: Ich habe letzte Minuten in brennenden und bereits verbrennenden Häusern verbracht. Daher habe ich ein scharfes Verständnis, was bei uns wird, wenn dieser Kriegsbrand zugelassen wird.

Ich sah das alles schon oftmals! Ich sah die Menschen, die die Schreie und die Sirenen ignorierten, sah, wer darauf gutmütig herabschaute, wie in sein Haus neue Bewohner einzogen. Und anschliessend kam es zur Messerstecherei auf dem Korridor … Und ich weiß, wie dagegen zu kämpfen ist. Ich habe gelernt. Ich weiß, um den Brand zu löschen, muss man manchmal alles mit Schaum überfluten, muss man dabei das Gejammer der Bewohner ignorieren, dass man ihnen auch ja bitte nicht das Sofa verrücken möge …

Leider gibt es bei unserer Regierung eine derartige Erfahrung nicht.. Sie hat überhaupt keine Erfahrung. Ihre Erstarrung hat die Eliten hat dazu gebracht, dass sie das Land weder sehen noch fühlen. Bei ihr sind die Nerven betäubt.

Und bis die zentrale Figur, Putin, verstehen wird, dass er den von seiner Elite geschaffenen Ballast am Bein hat, und sie die Möglichkeit nicht auslassen wird, um ihn loszuwerden,- und bis diese Elite mit einem gusseisernen Kragen um ihren Hals nach unten auf den Boden gezogen wird, werde ich mit dem Feuerlöscher laufen.

Frage: Igor Iwanowitsch, berichten Sie bitte von Ihrer Beziehung zu den Regierungen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk.

Igor Strelkow: Ich bemühe mich, sie nicht zu kritisieren, einfach weil sie dort sind und ich hier bin.

Vieles, was sie machen, ist nicht ihr eigener Wille, sondern sie bekommen es von jemand oben, vom Alten Platz wird es auf sie herabgelassen.

Jede Rede davon, dass Sachartschenko und Plotnizki die absolut unabhängigen Figuren wären, ist ein Märchen für die Kinder des jüngeren Schulalters. Vieles von dem, was sie machen, entstammt nicht ihrer Initiative, so dass sie dafür nicht herhalten sollen. Man hat mit ihnen solche Leute speziell ausgewählt, dass die Regierung und die Reichen ihren Handel machen. Folglich ist mein Verhältnis dazu und zu diesen Personen negativ.

Der letzte anständige Mensch dort war Mosgowoj. Aber ihn haben sie getötet. Und er war kein Politiker. Er war ein Kommandeur. Mehr Menschen habe ich dort nicht gesehen, die meinen Vorstellungen von Anständigkeit entsprechen.

Frage: Gibt es deshalb dort den Konflikt zwischen der offiziellen Regierung und den Brigadekommandeuren?

Igor Strelkow: Es gibt dort keinen solchen Konflikt. Die Brigadekommandeure kämpfen. Die Regierung geht den Geschäften nach. Dort wächst ganz einfach das völlige Unverständnis seitens der Landwehr und der Bevölkerung heran, wofür wir eigentlich kämpfen.

Die Menschen sind in den Aufstand getreten und haben gekämpft, und sie haben die Bewegung für Neurussland unterstützt. Nicht jedoch haben sie damit für „besondere Bezirke auf dem Territorium der Ukraine“, nicht jedoch haben sie damit für die Erhaltung des Einflusses der Oligarchen gekämpft. Sie haben nicht dafür gekämpft, dass anstelle der ukrainischen Miliz anschliessend aus noch gesetzloseren Zusammenhängen stammde Milizangehörige in Tarnkleidung mit Maschinenpistolen bei ihnen patroullieren. Die Menschen sind für etwas anderes in den Aufstand getreten! Und jetzt sind sie natürlich unzufrieden.

Ich bin kein Anhänger dieser Unzufriedenheit. Nicht weil ich das nicht verstehe. Sondern vor allem, weil es kontraproduktiv ist.

Aber bis sie im Kreml verstehen werden, dass man die Politik in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk verändern muss, wird sich dort nichts vernünftig ändern. Dort zeigen sie beispielsweise Russland das Bild vor, dass die zwanzigste, dreißigste Kolonne dieser weißen „LKW Kamas“ mit humanitären Hilfsgütern angekommen ist. Aber sie zeigen nicht vor, dass die Hilfe nicht bis zum Volk rollt. Freilich fing das Volk jetzt damit an zu kämpfen. Aber nochmal, diese Kolonnen sind ein Bruchteil dessen, was für Neurussland notwendig ist.

Frage: Und wie sollte die Politik bezüglich den Volksrepubliken Donezk und Lugansk geändert werden?

Igor Strelkow: Man muss die Grenzen öffnen. Man muss die Wirtschaftsbeziehungen mit den Volksrepubliken Lugansk und Donezk einstellen.

Aber Russland drohen daraus Sanktionen und Probleme. Dies ist dann noch ein Schritt hin zur realen Souveränität, aber auch des Strebens danach, dies nicht zuzulassen. Fakt ist, dass die Beamten ihre Interessen über die des Staates stellen.

Für mich existiert noch ein allem übergeordnetes Interesse,- wie hätte Gott gehandelt. Aber wenn die Situation rein vom Gesichtspunkt des Staates zu bewältigen ist, so sollen die Interessen des Volkes höher als die Interessen dieses Staates stehen. Das ist eine saubere staatliche Politik. Der Staat soll dem Volk dienen, und nicht andersherum. Die Interessen der Beamten, das heißt die Interessen dieser Einzelpersonen, sollen dem Dienst am Staat untergeordnet sein, und der Staat soll dem Volk dienen. Dies heisst, dass alles genau das Gegenteil des jetzigen Zustands sein sollte.

Die Oligarchie ist nicht einfach die Summe der reichen Menschen, sondern sie ist das Herrschaftssystem im klassischen altgriechischen Verständnis. Bei uns ist der Staat den Interessen der besonders reichen Familien untergeordnet. Diese Familien interessieren sich gar nicht irgendwie für den Staat, der ihre Existenz gewährleistet, und die Interessen des Volkes interessieren sie überhaupt nicht!

Ohne Menschen, die dem Land und dem Volk wirklich dienen, ist der Staat handlungsunfähig.

Frage: Aber woher soll er sie nehmen?

Igor Strelkow: Wir brauchen ein System für den sozialen Aufstieg, das die Menschen nicht aufgrund ihrer persönlichen Loyalität zum Vorgesetzten nach oben bringt. Das Fehlen solcher Karrieresysteme ist ein Fehler von Wladimir Wladimirowitsch. Dies muss kraft Verdiensten sein. Die Machtposition soll nicht dem gehören, der der Neffe des älteren Helfers oder der Schwiegersohn seiner jüngeren Tochter ist, sondern denjenigen, die wirklich etwas für das Land geleistet haben.

Unser Staat erinnert an mich jetzt an einen Wolkenkratzer, dessen Lifts gesprengt worden sind. Wer auf dem oberen Stockwerk festsitzt, der sitzt dort. Aber nie wird er zu sich zulassen, wer von unten zu ihm nach oben klettert.

Und schauen Sie sich unsere Helden an. Wer wird bei uns im Land mit den höchsten Orden belohnt? Wen präsentiert man im Fernsehen?

Das sind zwei Kategorien: die Sportler und die Künstler.

Alexander Borodaj (obwohl ich ihn jetzt als Kontrahent habe) fasste seinerzeit den schönen Gedanken ab, dass Wladislaw Jurijewitsch noch nicht seine Eingeweide verkauft hat (Surkow noch nicht verkauft ist – Red.). Seine Hirnzellen arbeiteten damals gut.

Auch hat er den Gedanken ausgesprochen, dass der Niedergang des Alten Roms angefangen hatte, als sie damit anfingen, nicht die Heerführer zu ehren und zu belohnen, sondern die Gladiatoren und die Mimen,- im Klartext machten die Scharlatane Karriere. Ausgehend vom Ruf nach „Brot und Spiele“, fingen sie an, die Volksidole zu schaffen.

Frage: Igor Iwanowitsch, der Patriotismus in unserem Land wird offen mit der Rückkehr zur Sowjetunion verwechselt. Die sowjetische Rhetorik wächst jetzt wie ein rollender Schneeball an. Es stellt sich heraus, dass für uns das Beste im Sozialismus geschah. Man nimmt uns beharrlich, verzeihen Sie den Ausdruck, auf die „Schippe“.

Igor Strelkow: Meinen Sie die kurginjansche UdSSR 2.0?

Frage: Auch. Es geschehen schon ganz seltsame Dinge. Zum Beispiel der Kampf um die Übergabe der Dokumente an Prinz Wladimir führte zu einer Diskussion über die Rückkehr des Dserschinski-Denkmals an seinen Platz. Wie ist Ihre Haltung zur Idee „Rückkehr zur UdSSR“?

Igor Strelkow: Die Leute verwechseln da eine Show mit der Realität. Wir haben jetzt eine oft durch Showgehabe ersetzte Realpolitik. Diese ganze Show um Prinz Wladimir und Dserschinski ist eine Ablenkung des Volkes auf geringere und nebensächliche Dinge.

Die Situation ist deswegen sehr schwierig. Unser Schiff befindet sich im Nebel. Der Kapitän und die Offiziere wissen, dass irgendwo da draussen die Felsen aus dem Wasser ragen. Aber wohin zu steuern ist, das wissen sie nicht. Sie haben keine Vorstellung davon, was künftig aus ihrem Schiff werden wird. Doch die meisten Besatzungsmitglieder und Passagiere dürfen davon nichts mitkriegen.

Daher lenken sie die Aufmerksamkeit woandershin: Oh, schaut mal, was für eine grosse blaue Meduse steuerbord vorbeischwimmt! Und was für eine Meduse gefällt denn besser? Die blaue? Oder die rote?

Ich wäre mit dieser Situation noch einverstanden, wenn da die mehr oder weniger bewussten Passagiere wären. Ich, zum Beispiel, der gerade als Passagier handelt, legte die Wahrheit ein wenig offen.

Aber stellen wir mal die unbequemen Fragen. Warum schwimmen wir beispielsweise dem Anschein nach Richtung Norden,- aber der Kompass zeigt nach Süden? Warum setzen wir den Patriotismus in Gang, schreien was für eine Großmacht Russland ist,- aber unsere Wirtschaftsbewegungen sind dieser Idee des Patriotismus geradezu entgegengesetzt? Warum unterstützen wir die Volksrepubliken Donezk und Lugansk,- aber gleichzeitig päppeln wir die Ukraine auf? Und solche Fragen gibt es sehr viele. Sie alle wirst du nicht aufzählen. Aber statt ihnen bietet man uns an, die Denkmäler des Fürsten Wladimir und Dserschinski zu tadeln. Ja, auf die Denkmäler zu spucken!

Über Dserschinski und seine Tochter steht gut geschrieben, dass der Pope ein typischer polnischer Jude war, ein Abkömmling von Adligen, voller Hass auf die verhassten Russen, daraus entwickelte er seine Revolutionsverbundenheit. Er ist nicht nur ein Pole, sondern ein Nachfahre eines litauschen adligen Milizangehörigen, der von der orthodoxen zur katholischen Glaubensrichtung übertrat.

Sie haben Gumilew erwähnt. Erinnern Sie sich an Gumilew jr., Leo Tolstoi, in seiner Theorie der Leidensfähigkeit war so ein „Gedenkstadium“ der Entwicklung der Gesellschaft, bevor sie endgültig stirbt. Für diese Epoche ist charakteristisch, dass eine Menge Gedenkmünzen geprägt werden. Die Gesellschaft erzählt sich, wie sie alle Feinde besiegt hat. Wenn man sich kürzlich die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Sieges ansah, so verstand man, dass da doch typisch das „Gedenkstadium“ war, wo die für die weitere Entwicklung der Gesellschaft derzeit notwendigen Maßnahmen mit den Feierlichkeiten anlässlich vergangener Siege überlagert wurden.

Verstehen Sie, bei mir kämpften beide Großväter. Ich bin vollends dafür, dass die Erinnerung über ihre Heldentaten erhalten bleibt. Aber man kann nicht mit einem wegen Begehen des  Sieges vor 70 Jahren zugedrückten Auge bei dem siegen, was jetzt errichtet wird. Das ist auch lächerlich, so als ob das Alte Rom auch, als es von den Barbaren belagert wurde, plötzlich begonnen hätte, den vergangenen Sieg über Karthago zu feiern. Übrigens war dies wirklich genau so in der Alten Geschichte!

Frage: Was würden Sie Präsident Putin wünschen?

Igor Strelkow: Mindestens zwei Stunden am Tag online nachzulesen, um zu erfahren, was wirklich gerade vor sich geht, und was darüber gesagt wird.

Frage: Kurz und kokett. Aber lesen Sie über sich selbst online nach?

Igor Strelkow: Mich selbst betreffend lese ich eine Menge Kritik. Und oft bin ich einverstanden mit dem, was über mich geschrieben wird.

Für gewöhnlich schätzen die Autoren die Lage nicht ganz richtig ein, in der ich tätig gewesen bin. Beispielsweise beschuldigen mich die Ultra-Patrioten, dass ich sozusagen die Macht in Donezk übergeben hätte. Leute kamen zu mir, um die Befehle auszuführen, Mariupol nicht anzugreifen und sie dort zu stoppen. Sie glauben, dass solange ich dort war, ich mit so einem Kollektiv gescheitert wäre.

Frage: Aber sie wurden doch sozusagen rausgeworfen!

Igor Strelkow: Aber sie glauben, dass ich dort einen Aufstand hätte lostreten müssen. Und dies trotz der Tatsache, dass ich in einer klassischen Situation war, wo für 9 Gewehre noch 6 Kugeln übrig waren. Und wenn das ukrainische Militär ein wenig gewusst hätte, wie da zu kämpfen ist, hätten wir verloren. Daher war die Situation nicht gegeben, an meinen Talenten festzuhalten, sondern es ging um die Unfähigkeit, gegen den Gegner zu kämpfen. Selbst wenn sie nur mittelmäßige Kommandeure gehabt hätten, wäre es unmöglich gewesen, gegen sie anzukämpfen.

Aber ich lese noch immer die Kritik. Man muss verstehen, was man kritisiert. Es ist notwendig, einen alternativen Blickwinkel zu kennen.

Obwohl ich mich nicht in Polemiken einbringe, beispielsweise mit dem Söldner Kurginjan. Er ist tatsächlich ein angeheuerter Scharlatan. Ziemlich schlau, ein hochbegabter Künstler mit Ambitionen. Jawohl, das ist ein übler Scharlatan.

Demgegenüber komme ich nicht zu ihm. Nicht weil er einige blöde Gedankengänge macht, sondern weil es unmöglich ist, an diese öffentlichen Figuren auf der Bühne im Alleingang mit diesen Figuren heranzutreten.

Das ist eine andere Ebene. Er ist ein Angeheuerter, aber ich bin ein Mann der Ideen. Er hat natürlich eine Idee, und er verkauft sie,- aber ich nicht!

Wissen Sie, warum ich das lese? Um klarzumachen, dass alles an seiner Konstruktion auf eine Lüge gegründet ist. Das ist ganz wichtig für mich.

Und wenn unser Präsident die Kritik an ihm selbst nicht lesen wird, dann wird er nicht die richtigen Entscheidungen treffen.

Frage: Glauben Sie, dass eine soziale Explosion in Russland möglich ist?

Igor Strelkow: Ich denke, dass man eine soziale Explosion bewerkstelligen kann. Was passierte derzeit in Kiew bei der sog. „Revolution der Würde“? Das war eine harmonische Kombination aus einem Palastputsch und einem künstlichem Freisetzen von sozialen Spannungen draussen. Faktisch konnte Janukowitsch dem nicht standhalten. Und ich meine, dass er das vollauf verdient. Er war überall unpopulär!

Mich, hat übrigens getroffen, mit welchem Stolz in unserem Film über die Krim vorgeführt wurde, wie sie auf persönliche Weisung Putins diese Kreatur gerettet haben. Beklagenswert, bei der Kreatur wird völlig entstellt, dass er es bis zum Bürgerkrieg und dem Zerfall des Landes treiben liess, sich aber jetzt sehr zufrieden fühlt.

Wenn Russland auf der Logik des Staates gegründet wäre, könnte es jenen Janukowitsch in China beispielsweise verloren gehen lassen. Aber indem Russland ihn bei uns aufnahm, haben wir einen riesigen Trumpf vor allem den ukrainischen Nationalisten und allen Nazis gegeben! Wir haben ihnen den nicht getöteten Joker in die Hände gegeben!

Wir sagen, dass wir Janukowitsch nicht unterstützen. Aber wie unterstützt man ihn nicht, wenn er bei uns sitzt?

Wenden wir uns der Situation in der Ukraine zu. Das Volk hat die Fortsetzung der über 20 Jahre Willkür und der oligarchischen Verbrecher wirklich satt. Es will soziale Gerechtigkeit.

In der europäischen Idee ist faktisch diese Idee sozialer Gerechtigkeit nur als ein wenig Maskerade vorhanden. In Europa sieht das Volk ein soziales Paradies, wo das Gesetz zumindest manchmal gültig ist. Wo soziale Gerechtigkeit ist und wo das Volk in Würde leben kann. All dies wird ihm als Ersatz für soziale Gerechtigkeit angeboten und gesagt, für eure Sorgen sind Janukowitsch und die Oligarchen anzuprangern. Natürlich wird das von den Oligarchen gesponsert. Sie kamen im Ergebnis der „Revolution der Würde“ an die Regierung. Das Volk wurde getäuscht und ging ihnen auf den Leim. Aber die Tatsache der sozialen Unzufriedenheit ist nicht weggegangen.

Deshalb läuft in Russland der Druck auf Putin. Nochmal, warum gibt es gegen Putin all diese Vorträge und Artikel? Wo er in zwei Stunden Sitzen vor dem Internet erfährt, was über ihn geschrieben wird, was die Leute über ihn denken? Damit er versteht, dass gegen ihn die Kampagne zu seiner Entheiligung läuft. Hausgemacht ist das bereits geworden! Der Prozess, Putin zu stürzen, ist derzeit schon im Gange! Schauen Sie mal, was die führenden Blogger über Putin schreiben. Und dasselbe passierte mit Janukowitsch. Der 5. Fernsehkanal, der Poroschenko gehört, „schmierte“ ihn jeden Tag an.

Frage: Aber wir haben keine Kanäle, welche Putin „anschmieren“.

Igor Strelkow: Abwarten, sie werden erscheinen. Und die Weisen werden sich finden.

Als der 1. Maidan lief, nahm ich beim 1. ukrainischen Fernsehkanal auf, auf dem darüber geredet wurde, was für eine schlechte Opposition vorhanden ist. Und das Bild ging selbst zur Eskalation über, so dass auf dem 5. Kanal lief, wie die Berkuts die Opposition niederknüppelten. Das heißt, der Text war das Eine, aber das Bild war das Andere. Dasselbe wird es auch bei uns geben. Der Prozess verläuft schleichend, er wird nicht schlagartig einsetzen.

Er hat mit den Bloggern angefangen. Sie haben schon alle Hunde auf Putin losgelassen.

Aber allmählich erscheint dies auch über den Rahmen des Internets hinaus. Schauen Sie sich die Kritik an die Adresse von Putin an, die sich Uljukajew, Gref gegönnt haben. Sie, ohne dies beim Namen zu nennen, haben sich Kritik an die Adresse des höchsten Staatsgremiums herausgenommen. Heute nennen sie ihn nicht, aber morgen werden sei ihn nennen. Dabei bleiben sie auf den Plätzen, wo es gut für sie ist. Dies ist eben die 5. oder 6. Kolonne.

Frage: Es gibt die Meinung, dass Putin gegenüber diesen Drohungen einen gewissen schlauen Plan hat. Freilich ist nicht bekannt, worin er besteht.

Igor Strelkow: Worin er besteht, sehe ich nicht, wenn ich ehrlich bin. Der Unterschied zwischen dem Sondereinsatz und dem Krieg besteht darin, dass für den Sondereinsatz der maximale Nebel, der Schatten, der Rauchschleier nötig ist. Unter diesem Verdecken bewirken die gut ausgebildeten Menschen vorab die vorbereiteten, klar kalkulierten Handlungen.

In der Situation des Krieges ist alles anders. Die Klarheit, das Gefühl des Ellbogens ist dort nötig. Bei uns läuft schon der Krieg. Aber man muss das Volk für diesen Krieg sammeln. Und uns bleiben noch einige Methoden des Sondereinsatzes, zu viel Rauch. Das ist so viel, dass die Verteidiger des Landes sich darin verloren haben.

Frage: Und haben Sie eine Ahnung, wie dies alles ausgehen wird? Was sagt die Intuition voraust?

Igor Strelkow: Ich glaube daran, dass Putin vernünftig werden wird. Er ist ein nicht dummer Mensch und muss verstehen, dass sein Schicksal und das Schicksal des Landes miteinander zusammenhängen.

Dabei hebe ich hervor, dass ich zu ihm keine sakrale Beziehung vom Anschein her habe: „Oh! Lichtgestalt!“ Nur eine reine-pragmatische Beziehung wie zu einem Menschen, der auf diesen Platz durch das Schicksal gestellt wurde und das Land retten soll. Und dazu soll er über den Schatten springen, auch über seinen eigenen. Wir gehen durch uns selbst über uns hinaus.

Als man mich aus dem Dienst entlassen hat, war dies für mich ein Schlag. Ich war im Begriff, fast lebenslänglich den Dienst zu leisten. Aber mich haben sie entlassen, doch bin ich weiter gegangen.

So auch hier. Putin als Präsident hat kein Recht, sich der Entscheidungsfindung zu entziehen, wie auch immer die Entscheidung ausfallen möge. Er wird die Entscheidung dennoch zu treffen haben.

Frage: Aber haben Sie nicht die Ahnung, dass diese Entscheidung schon getroffen worden ist? Und sie darin besteht, dass Neurussland „zu integrieren ist“? Ganz wie üblich bei Politikern zieht man bei so einem krassen Beschluss die Bremse, um nicht die Explosion, den Volkszorn herbeizurufen. Derart alles verpuffen zu lassen.

Igor Strelkow: Die Politik kann man mit dem Meer vergleichen. Und solange der Präsident eine Möglichkeit hat, von den Felsen wenn auch auf den letzten Metern abzudrehen, muss darum gekämpft werden, dass er diese Entscheidung fasst. Man muss gerade um diesen letzten Moment kämpfen.

Die Sache hängt nicht an seiner konkreten Person, sondern einfach daran, dass gerade er sich jetzt am Steuerrad befindet. Aber wenn eine Schlägerei um das Steuerrad veranstaltet wird, dann ist das der Tod für alle. Und zwar sowohl für das Schiff als auch für die Mannschaft.

Ja, der Kapitän selbst hat die Fahrstühle nach oben abgeschaltet. Das ist eine Realität. Aber da müssen wir herauskommen.

Und man muss ihm schließlich erklären, dass wenn er die ältere Kommandostruktur nicht austauscht oder zumindest einen Teil davon,  die Hydraulik nicht pumpen wird, die Kraftstofftanks sich nicht nachfüllen, die Lecks am Schiffskörper nicht abgedichtet werden, so dass er zusammen mit dem Schiff versinken wird.

Sein persönliches Boot würde ihn nicht retten. Um dieses sein Verständnis muss man eben kämpfen.

Möglicherweise bin ich da deshalb von den Medien abgeschaltet worden. Damit der Präsident die Stimme der Vernunft nicht zu hören bekam.

Es unterhielten sich Wadim Rogoschin und Michail Sarafanow mit Igor Strelkow.

Quelle:

http://rusdozor.ru/2015/08/03/igor-strelkov-vybor-rossii-lezhit-mezhdu-vojnoj-i-kapitulyaciej/

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